Corona-Tagebuch #2 | 09.03. – 15.03.

09.03. – 10.03.
Die Liste der Schülerinnen und Schüler, die wegen des Aufenthalts in einem Risikogebiet zu Hause bleiben müssen, wird täglich länger. Zahlreiche Veranstaltungen, die in der nächsten Zeit stattgefunden hätten, stehen auf der Kippe, ein Termin nach dem anderen wird abgesagt. Am 18. März hätte die A-Capella-Band VIVA VOCE bei uns an der Schule gesungen; alle 400 Karten sind verkauft – was tun? Das örtliche Gesundheitsamt hat zwischenzeitlich angeordnet, dass keine größere Veranstaltung mehr stattfinden darf. Die Veranstaltungsversicherung hat vorsorglich schon mitgeteilt, dass sie keinerlei Kosten übernehmen wird, wenn ein Termin wegen Corona abgesagt werden muss. Der Manager der Band reagiert sehr kulant und bietet uns einen Ersatztermin im Herbst an.

Seit vielen Jahren fahre ich immer in der Woche nach den Osterferien mit einer Schülergruppe der 10. Klassen nach Taizé: Zur Ruhe kommen, sich besinnen, Jugendliche aus aller Welt treffen. Auch heuer hat sich rund ein Drittel des Abschlussjahrgangs für diese Fahrt angemeldet, dazu einige ehemalige Schülerinnen und Schüler. In Taizé sind die hygienischen Bedingungen in etwa wie auf einem Campingplatz; die Jugendlichen übernachten in Schlafräumen mit 6-12 Betten. Nicht unbedingt die optimalen Voraussetzungen für die Einhaltung strenger Hygienevorschriften. Das örtliche Busunternehmen teilt uns mit, dass im Fall der Stornierung einer Klassenfahrt 100 % Ausfallgebühr anfallen würden; auch verschiedene Jugendhotels und Jugendherbergen schreiben sowas. Die Verantwortlichen spüren wohl schon, dass die nächsten Wochen und Monate schwierig werden könnten.

Zugleich geht der Alltag weiter; die Projektpräsentation verläuft erfolgreich, auch die erste Lehrprobe kann stattfinden. Aufatmen bei allen Beteiligten.

11.03.
Die regionale Lehrerfortbildung „Lernen im Religionsunterricht unter den Bedingungen der Digitalität“, die ich als Fachmitarbeiter EvR gemeinsam mit meiner katholischen Kollegin ökumenisch anbieten darf, findet statt. Jana Schreiner (nicht mit mir verwandt) vom Institut für Medienpädagogik referiert über die digitale Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, ich spreche eher theoretisch über die Notwendigkeit der Veränderung von Schule und im Hauptteil begleitet die geniale Stefanie Mahler die Kolleginnen und Kollegen in die Welt des digital gestützten Unterrichts – genau zur richtigen Zeit, denke ich mir. In den Kaffeepausen wird heftig darüber diskutiert, ob, wann und wie lange in Bayern wohl Schulen geschlossen werden.

Parallel dazu geht der Schulalltag normal weiter: die Unterrichtsplanung für das kommende Schuljahr beginnt mit dem offenen Versetzungsverfahren, Informationen müssen verteilt werden, die Informationsveranstaltung und die Schülerworkshops zur Wahl der Fächergruppe sollen in der kommenden Woche stattfinden, Projekte müssen geplant und Konflikte geschlichtet werden.

12.03.
Flächendeckende Schulschließungen werden immer wahrscheinlicher. Manche Lehrkräfte haben bereits viel Erfahrung mit dem von uns eingesetzten cloudbasierten System, weil sie es unterrichtsbegleitend bereits intensiv nutzen. Für die anderen gibt es einen Crashkurs per Onlinevideo. Die Schülerinnen und Schüler, die rund ums Halbjahr eingetreten sind, brauchen noch ihre Zugänge. Informell erreichen uns mehrere Meldungen, dass die Politiker in München und Berlin die flächendeckende Schließung aller Schulen ab kommenden Montag ernsthaft in Betracht ziehen. Wir informieren deshalb alle Schülerinnen, Schüler und Eltern per Durchsage und E-Mail, dass sie am Donnerstagnachmittag überprüfen sollen, ob die vorliegenden Zugangsdaten zum digitalen Klassenzimmer auch funktionieren. Sollte das nicht der Fall sein, gibt es am Freitag nach Jahrgangsstufen aufgeteilt eine Supportmöglichkeit.

Ein Kollege erstellt – nicht nur für unsere Schule – ein Padlet, in dem hilfreiche Tools für den digital gestützten Fernunterricht gesammelt werden können – das wird sich noch als äußerst hilfreich erweisen.

13.03.
Um 9:00 Uhr platzt die Bombe: Markus Söder teilt mit, dass alle Schulen bis zu den Osterferien geschlossen werden. Bei unserem Support-Lehrer versammeln sich ganze Schülertrauben. Insbesondere in den fünften und sechsten Klassen wissen viele ihre Passwörter nicht mehr, aber bis Mittag wird jeder versorgt. Ich informiere die Schulgemeinschaft mit einer Durchsage nach der Pause. Anders als sonst habe ich mir dafür ein paar Worte aufgeschrieben, weil wir ja nicht wissen, wie lange das alles dauern wird:

Liebe Schülerinnen, liebe Schüler,

nun ist es offiziell: Alle Schulen in Bayern werden bis zu den Osterferien geschlossen. Das bedeutet, dass wir uns heute vorerst das letzte Mal hier an diesem Ort treffen. Danach werdet ihr drei Wochen lang, bis zu den Ferien, zu Hause weiter lernen. Wir werden versuchen, euch über die Schulhomepage, über den Schulmanager und vor allem über die digitalen Klassenzimmer beim Lernen zu begleiten. Das Lernen geht also weiter, wenn auch auf ungewohnte Art. Nehmt das bitte ernst; wir starten am Montag in eine Zeit, in der wir auf neuen Wegen miteinander lernen. Bitte nehmt dafür auch heute Bücher mit nach Hause, die ihr sonst vielleicht in den Klassenzimmern oder im Spind aufbewahrt.

Noch wichtiger als das Weiterlernen ist mir aber Folgendes: Bitte pflegt die Kontakte und den Austausch innerhalb eurer Klasse in den kommenden Wochen. Achtet gut aufeinander; unterstützt euch beim Lernen und behaltet euren Humor. Helft einander bei technischen Problemen und erkundigt euch, falls sich jemand längere Zeit nicht meldet. Seit füreinander da, auch wenn ihr euch nicht täglich trefft. Was nun passiert, ist für uns alle eine neue, herausfordernde Situation; nicht nur, was die Schule betrifft, sondern insgesamt. Ich bin mir aber sicher, dass wir als Schulgemeinschaft und als Gesellschaft gut durch diese Zeit kommen werden, wenn wir möglichst ruhig und gelassen bleiben, auf die Ratschläge der Experten hören und füreinander da sind. Vielen Dank für euer Verständnis und eure Unterstützung.

Ich freue mich schon heute darauf, wenn wir uns nach den Osterferien gesund und fröhlich alle Wiedersehen; nun bringen wir diesen Schulvormittag noch ganz normal zu Ende und nutzen die Zeit, um zu vereinbaren, wie das digitale Lernen ablaufen kann.

Anders, als manche vielleicht erwartet hätten, brechen die Schülerinnen und Schüler nicht in Jubelstürme aus. Auch sie spüren die Ernsthaftigkeit der Situation. Aber auch Angst oder Verunsicherung ist nicht zu spüren. Wir sind bestmöglich vorbereitet. Trotzdem ist es ein komisches Gefühl, als wir uns am Nachmittag im Lehrerzimmer voneinander verabschieden.

Am Nachmittag schreibe ich noch einen Elternbrief zusammen, informiere über die Notbetreuung, die Erreichbarkeit der Schulleitung und darüber, was uns von Anfang an klar und wichtig ist:

Auch wenn das Schulhaus geschlossen ist, versuchen wir, das Lernen auf anderen Wegen fortzusetzen. Einerseits möchten wir damit insbesondere die Schülerinnen und Schüler der höheren Jahrgangsstufen möglichst „im Stoff halten“, vor allem aber soll die Beschäftigung mit schulischen Aufgaben den Alltag der Kinder und Jugendlichen strukturieren, sie in der sinnvollen Anwendung digitaler Medien schulen und die Kommunikation untereinander und mit den Lehrkräften aufrechterhalten.

Keinesfalls sollen Sie als Eltern das Gefühl haben, nun zusätzlich zur Betreuung auch noch den Job als „Hilfslehrer“ übernehmen zu müssen; wir sind Ihnen aber dankbar, wenn Sie ihre Kinder bei technischen oder inhaltlichen Fragestellungen nach Möglichkeit unterstützen. Die Schülerinnen und Schüler sollten die Aufgaben schon ernst nehmen, grundsätzlich bitte ich Sie aber, bei technischen oder inhaltlichen Problemen gelassen zu bleiben und wenn etwas nicht klappt, es ggf. sein zu lassen und die zuständige Lehrkraft oder uns zu kontaktieren. Das gilt insbesondere auch dann, wenn Sie den Eindruck haben, dass die gestellten Aufgaben zu viel sein sollten. Nicht immer ist aus der Ferne gut einzuschätzen, was in welcher Zeit machbar ist.

Dann der Supergau: Am Freitagnachmittag häufen sich auf einmal E-Mails mit Fehlermeldungen. Keiner kann sich mehr einloggen. Was ist passiert? Just an diesem Nachmittag wollten wir eine neue UTM in Betrieb nehmen. Aus irgendeinem Grund waren aber falsche Zugangsdaten abgespeichert, sodass die Telekom wegen zahlreicher erfolgloser Loginversuche alle unsere Leitungen gesperrt hat. Das sollte bei einem cloudbasierten Dienst zwar eigentlich kein Problem sein, aber aus Sicherheits- und Datenschutzgründen authentifiziert der Login gegen unsere lokale AD. Und wenn die nicht mehr erreichbar ist, dann kommt auch keiner mehr rein. Gottseidank ist der Telekom Business Service auch am Abend um acht noch erreichbar und gibt die Leitungen wieder frei. Aufatmen.

Am folgenden Wochenende glühen dann die Leitungen: Niemand ruht sich aus, alle beschäftigen sich mit der Frage, was es bedeutet, die digitalen Räume nicht mehr nur als Ergänzung, sondern als Ersatz des Präsenzunterrichtes zu nutzen. Wir richten ein digitales Lehrerzimmer ein, also einen Platz zum Ratschen für uns und eine virtuelle Aula für die Schülerinnen und Schüler.

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