Die Lokalpresse berichtet am Montag recht positiv darüber, wie wir versuchen, den Fernunterricht zu organisieren. Besonders freut mich, dass es der Aspekt der Beziehungspflege und Kommunikation, der uns so wichtig ist, in den Text geschafft hat:

In der Schule läuft die Notbetreuung an; abgesehen von organisatorischen Fragen (Woher kommt das Mittagessen?) entwickelt sich das auch dank der tatkräftigten Mithilfe unseres Partners für die offene Ganztagsschule recht problemlos.
Blick auf die Zugriffszahlen der digitalen Klassenzimmer:

Man sieht deutlich, dass die Nutzungszahlen erst ab Donnerstag der Vorwoche steil nach oben gehen. Obwohl die technische Infrastruktur also schon lange zur Verfügung steht, werden die digitalen Klassenzimmer als Erweiterung des „traditionellen“ schulischen Lernens nur vereinzelt genutzt. Das Wochenende ist in den Zahlen nur als kleiner Knick sichtbar. Als der „Ernstfall“ dann beginnt, läuft das System aber und es läuft stabil – die Zahl der aktiven Nutzer pro Tag liegt etwa bei 97% der Schulgemeinschaft und bleibt konstant auf diesem Niveau. Es kommt also auch – was mich überrascht – trotz des Ansturms auf die Dienste nicht zu nennenswerten Ausfällen.

Im Lauf der ersten Woche werden rund 50.000 Nachrichten im System abgesetzt. Ich vermute, dass am Anfang noch ein guter Teil der Nachrichten organisatorisch-technischer Art war, was den Abfall im Verlauf der Woche erklären könnte. Was man aber deutlich sieht: Das Aufkommen informeller Kommunikation in 1:1 Situationen oder in kleinen Gruppen („Chatnachrichten“) übersteigt die Zahl der Nachrichten in den digitalen Klassenzimmern ab dem zweiten Tag um den Faktor 2-3. Das zeigt das hohe Bedürfnis nach dieser Art von sozialen Kontakten und Beziehungspflege. Und es deckt sich mit dem normalen Schulleben: Auch hier dürfte das informelle Kommunikationsaufkommen zwischen einzelnen Personen oder in kleinen Gruppen die konkrete Kommunikation im Klassenzimmer deutlich übersteigen. Wenn Fernlernen also nur den formell-unterrichtenden Teil von Schule abbildet, geht ein großer Teil von dem verloren, was Schule für die Kinder und Jugendlichen attraktiv macht. Sozial stark organisierte Schüler*innen kompensieren das freilich auf anderen Wegen und nehmen eigene Plattformen für sich in Anspruch (idR Whatsapp-Gruppen). Denjenigen, die hier aber weniger vernetzt sind, droht die Isolation; da kann ein schulisches Angebot hilfreich sein.
Am Montagabend versammeln sich gut ein Dutzend Lehrkräfte im Videochat, um den Arbeitstag gemeinsam ausklingen zu lassen; außerdem nutzen wir das, um die Tools für die erste Lehrerkonferenz zu testen. Das Treffen dauert eine Stunde und verläuft sehr fröhlich und motivierend.
24.03.
Auf Twitter entdecke ich eine Elternumfrage, die an der Realschule Schöllnach durchgeführt wurde und greife die Anregung auf. Innerhalb von 24 Stunden beteiligten etwas mehr als die Hälfte der Eltern der Schule. Da wir fast alle Eltern (99%) über eine App erreichen, über die im Alltag auch z.B. Krankmeldungen und Elternbriefe organisiert sind und wir solche Kurzumfragen häufiger durchführen, hoffe ich, dass die Ergebnisse halbwegs repräsentativ sind.

Der doch recht hohe Anteil von Schüler*innen, die vor allem ihr Handy nutzen, zeigt die Notwendigkeit, Dienste zu nutzen, die eine sauber skalierte Darstellung bieten. In den meisten Familien ist schon noch ein PC vorhanden, den sich nun aber womöglich die Eltern im Homeoffice und mehrere Kinder für die schulische Arbeit teilen sollen. Das bedeutet auch, dass das Aufgabendesign sich an diesen Gegebenheiten orientieren muss.

Auf den ersten Blick sieht das alles ziemlich gut aus: Die Informationen sind angekommen, die Kinder fühlen sich zum allergrößten Teil durch die Lehrkräfte gut begleitet (was – wie wir noch erleben werden – für diese einen immensiven Aufwand mit sich bringt), die Eltern bescheinigen uns eine gute Erreichbarkeit und auch die ersten Aufgabenstellungen kommen verlässlich an. Wenn man ganz genau hinschaut, entdeckt man aber auch, dass rund ein Zehntel der Kinder weniger oder überhaupt nicht gut mit der Situation zurecht kommt. Das wären in Zahlen etwa 70 Familien, die mit der Situation kämpfen. Und dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass bestimmt einige gerade so zu kämpfen haben, dass sie besseres zu tun haben, als eine schulische Umfrage auszufüllen. Wir müssen also aufmerksam bleiben und dabei tut es gut zu wissen, dass die Information offenbar angekommen ist, dass auch die Sozialpädagogin und der Schulpsychologe gut erreichbar sind.

Hier dasselbe Bild: Auf den ersten Blick ein prima Ergebnis, der allergrößte Teil der Kinder und Jugendlichen ist 1-4 Stunden mit dem schulischen Lernen beschäftigt; das war in etwa unser Zielwert, lieber etwas weniger als zu viel. Ein paar wenige sind entweder superschnell oder eher minimalistisch unterwegs – dieser Anteil dürfte im normalen Schulalltag eher höher liegen. Aber wieder rund ein Zehntel sitzt länger als vier Stunden. Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt, dass unter denjenigen, die mehr als vier Stunden brauchen, auch der Anteil etwas erhöht ist, die mit der Situation weniger gut oder nicht gut zurechtkommen (16%) und dass der Anteil der jüngeren Kinder (5. und 6. Klasse) in dieser Gruppe etwas höher ist als in der Gesamtbefragung. Beide Korrelationen sind aber eher schwach ausgeprägt. Ich vermute, dass es andere, stärkere Einflussfaktoren auf die subjektive Wahrnehmung der Situation gibt, die vielleicht auch mit dem schulischen Handeln gar nicht so viel zu tun haben.

Beim Aufgabenumfang – das zeigen ja auch die Arbeitszeiten der Schüler*innen, liegen wir ganz gut; der ganz überwiegende Teil der Eltern beurteilt das als angemessen und die Gruppe, die gerne mehr Aufgaben hätte, ist etwas kleiner als die Zahl der Eltern, die das Pensum als zu viel beurteilen. Beim Aufwand, den die Eltern leisten, verhält es sich etwas anders: Für immerhin rund ein Fünftel der Elternschaft bedeutet die Begleitung ihrer Kinder viel oder sehr viel Aufwand. Auch hier sind wieder (wenig überraschend) überproportional mehr Eltern jüngerer Kinder darunter. Ich hoffe, dass sich dieser Wert in Woche zwei und drei verkleinert, wenn die Unterstützung auf der technischen Ebene im Rahmen der Einarbeitung in die digitalen Tools nicht mehr so gebraucht wird. Was das wohl für Eltern von Grundschulkindern bedeutet?
25.03.
Wir halten die erste Lehrerkonferenz digital ab. Dazu nutzen wir ein Videokonferenzsystem, das immer diejenige Person, die gerade spricht, in den Vordergrund hebt. 97% der Lehrkräfte sind anwesend – ein Wert, den wir im Alltag selten erreichen. Nach einigen allgemeinen Informationen diskutieren wir die ersten Erfahrungen des Fernlernens. Die Konferenzdisziplin ist hoch, wir führen eine virtuelle Rednerliste und gehen strikt danach vor. Als für die Schüler*innen problematisch hat sich gezeigt, dass wir unsere Aufgaben auf sehr unterschiedliche Art in die digitalen Klassenzimmer einstellen. Das macht es schwer, den Überblick zu behalten, was auf welchem Weg bis wann erledigt sein soll. Wir beschließen einheitlichere Vorgehensweisen, anschließend stellen einige Lehrkräfte weiterführende Möglichkeiten der Zusammenarbeit vor und wir tauschen uns über typische Probleme aus, die immer wieder auftreten.
26.03.
Wie die Eltern, haben wir auch die Lehrkräfte zur Situation des Fernunterrichts befragt. Die wesentlichen Ergebnisse sind:
- 90% kommen gut oder sehr gut mit der Bedienung der Technik zurecht.
- 95% erreichen alle oder fast alle ihrer Schüler*innen zuverlässig.
- Die meisten erleben ihre Schüler*innen ähnlich motiviert wie im normalen Unterricht mit einer kleinen Tendenz zu etwas stärkerer Motivation.
- 60% wenden etwas mehr oder viel mehr Zeit auf für ihre Arbeit im Vergleich mit dem normalen Alltag.
Der letzte Wert ist sehr hoch, zumal wir an der Schule ohnehin ein so vielfältiges Schulleben betreiben, das allen Beteiligten schon im Alltag ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft abverlangt. Auf Dauer wird das nicht machbar sein. Wenn die Phase der Einarbeitung in die Werkzeuge vorbei ist, sollte der Wert etwas sinken; beim genaueren Hinsehen zeigt sich aber, dass es vor allem die individuelle Betreuung einzelner Kinder ist, die sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Das veränderte Unterrichtsszenario erhöht schlagartig die Zahl der 1:1 Kommunikationsmomente. Im Unterricht spricht doch häufig noch die Lehrkraft zu vielen Schüler*innen gleichzeitig, echtes individuelles Feedback ist bei L-S Relationen von 1:200 im Fachunterricht auch nur schwer darstellbar. Da wir beim Fernlernen wenig auf synchrone Unterrichtsformate setzen, sondern überwiegend Aufgaben stellen, die nach eigener Zeiteinteilung unter Begleitung der Lehrkräfte erledigt werden können und viele Lehrkräfte sehr schnell auf Anfragen der Schüler*innen reagieren, wächst natürlich auch die Erwartungshaltung. Das wird noch eine Herausforderung, hier einen guten Mittelweg aus Ansprechbarkeit, individuellem Feedback einerseits und notwendiger Beschränkung andererseits zu finden.
27.03.
Nicht nur bei mir ist die Luft nach zwei Wochen Fernlernen raus. Wie vielen anderen geht es auch mir und manchen Lehrkräften im Homeoffice so, dass wir Arbeit und Freizeit zu wenig trennen. Ich nehme mittags im verlassenen Lehrerzimmer noch einen Videogruß an die Lehrkräfte auf, bedanke mich für das unglaubliche Engagement und bekenne aber auch:
Ich merke, dass mich diese Art zu arbeiten auf die Distanz, die Schwierigkeiten, die diese Art von Kommunikation mit sich bringt, die ganze Zeit vor dem Bildschirm zu hocken, auch müde macht. Ich habe mich selten so sehr auf die Ferien gefreut wie jetzt am Ende nächster Woche.
Trotz allem Enthusiasmus, der guten Vorbereitungen und des positiven Feedbacks: Schule ohne persönliche Begegnungen ist irgendwie Mist, auf Dauer kann ich mir das nicht vorstellen. Das Wochenende nutze ich, um die Idee dieses „Corona-Tagebuchs“ umzusetzen, vor allem als Gedächtnisstütze für mich selbst, vielleicht auch als Zeitzeugnis – ist ja doch eine außergewöhnliche Situation. Vielleicht kann ja der ein oder andere sogar eine Anregung daraus gewinnen, das würde mich freuen.