Vorbemerkung
Grundsätzlich kann man Elternsprechtage für einen Anachronismus der Schule des 20. Jahrhunderts halten, suggeriert der Begriff doch irgendwie, dass Lehrkräfte für Eltern nur an diesem Tag zu sprechen wären. Das ist natürlich Unsinn: Wenn Eltern und Lehrkräfte sich als Erziehungs- und Bildungspartner in der pädagogischen Arbeit verstehen, braucht es eine gute, dauerhafte wechselseitige Erreichbarkeit. Die Grundlagen und Standards dafür haben wir an der Realschule Tegernseer Tal ab dem Schuljahr 2011/12 im Schulentwicklungsprojekt AKZENT Elternarbeit („Anlasslose und Kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Elternhaus – unterstützt durch Neue Technologien“) ausgearbeitet und festgeschrieben. Obwohl also die Lehrkräfte für die Eltern immer gut erreichbar sind, haben wir uns entschieden, die Sprechtage beizubehalten: An der Realschule wird fast jedes Fach von einer anderen Lehrkraft unterrichtet. Um die vielen Personen kennenzulernen, um ein kurzes Feedback zu geben und zu erhalten, sind diese Tage, an denen die Eltern die Möglichkeit haben, viele Lehrkräfte in kurzer Zeit zu sprechen, durchaus hilfreich. Klar ist aber, dass sich diese Tage nicht eignen, um schwierigere Beratungsfragen zu klären; dafür bräuchte man mehr Zeit und Ruhe.
Manche weiterführende Schulen setzen auf 5-Minuten-Termine beim Elternsprechtag. Das führt regelmäßig zu Chaos, weil so kurze Termine kein Mensch einhalten kann und die Zeit oft schon gebraucht wird, um den nächsten Raum zu finden. Wir halten 10-Minuten-Termine und bieten dafür den ersten Sprechtag im Dezember verteilt auf zwei Tage in aufeinanderfolgenden Wochen an; das bedeutet zwar für die Lehrkräfte doppelten Aufwand, aber das Mehr an Zeit füreinander ist es auf jeden Fall wert.
Warum nun ein digitaler Elternsprechtag?
Schulisches Leben und Lernen kann nur auf Basis einer vertrauensvollen Beziehung zwischen allen an der Schulgemeinschaft beteiligten Personengruppen gelingen. Beziehungen wollen gepflegt werden, insbesondere in der Krise. Dazu dienen uns normalerweise Elterngespräche, informelle Gesprächsanlässe (z.B. Elternstammtische), das gemeinsame Singen im Eltern-Lehrer-Chor oder das Zusammentreffen bei Schulfesten. Nachdem das fast alles gerade nicht möglich ist, war uns wichtig, wenigstens den Sprechtag durchzuführen, um mit den einzelnen Familien in Kontakt zu bleiben, über den Fortgang des Unterrichts und die Verbindung von Präsenz- und Onlinelernen zu informieren, Feedback zum Engagement und Erfolg der Schüler*innen in beiden Unterrichtsformen zu geben und um Rückmeldungen der Eltern zu erhalten, wie die Umsetzung des Lernens sich aus deren Sicht darstellt.
Organisation
Die Terminbuchung haben wir über den Schulmanager Online abgewickelt. Wir in der Schulleitung legen den Sprechtag an, die Lehrkräfte können selbst Pausen und Anwesenheitszeiten eintragen (gestaffelt nach dem Vollzeit bzw. Teilzeitstundenmaß) und dann gibt es einen Zeitraum, in dem die Buchung freigeschaltet ist. Aus Elternsicht gestaltet sich das sehr komfortabel: Die Eltern geben ein Zeitfenster an, in dem sie Gespräche führen wollen, wählen die Lehrkräfte aus, die sie sprechen wollen und die Software stellt dann automatisch ein individuelles Gesprächsprogramm zusammen. Wer das genauer wissen will, kann sich diese Kurzanleitung anschauen. Wir haben das Glück, dass tatsächlich 100% unserer Eltern den Zugang zum Schulmanager nutzen, sodass wir keine alternativen analogen Anmeldewege mehr pflegen müssen.
Die Lehrkräfte können jederzeit einsehen, wer sich bei ihnen eingetragen hat. Wir beenden die Buchung immer zwei Tage vor dem Sprechtagstermin, damit noch ausreichend Zeit für die Gesprächsvorbereitung ist.
Durchführung
Üblicherweise klopfen bei Sprechtagen die Eltern an die Tür der Lehrkräfte; beim Online-Sprechtag ist es andersrum: Die Lehrkräfte kontaktieren zum vereinbarten Zeitpunkt die Eltern. Das schien uns sinnvoller als anders herum, weil der Personenkreis, der Gespräche aufbaut, dann viel kleiner ist und wir so Reibungsverluste minimieren wollten. Als technische Basis braucht es eine Kollaborationssoftware, in der alle Eltern (oder wie bei uns die Schüler*innen) einzeln per Videoanruf kontaktierbar sind; wir nutzen dafür MS Teams. Normalerweise bitten wir die Eltern, die digitalen Klassenzimmer in Teams den Lehrkräften und Kindern zu überlassen; aber in der Analogie passt das schon, weil beim Sprechtag ja die Eltern auch ins Klassenzimmer der Kinder kommen. Viele Eltern haben die Gelegenheit auch genutzt, die Gespräche gemeinsam mit ihren Kindern zu führen; das mag ich persönlich sehr gerne, weil man dann miteinander und nicht übereinander spricht.
Wie hat’s funktioniert?
Ich habe die Eltern am Tag nach dem Online-Sprechtag um Feedback gebeten und das ist wirklich sehr ermutigend:
Auch in den persönlichen Rückmeldungen gab es viel Positives, häufige genannte Aspekte waren:
- Entspannte Atmosphäre, weil die leidige Parkplatzsuche entfällt, keine Räume gesucht werden müssen und man Wartezeiten bequem auf dem Sofa verbringen kann.
- Es können beide Elternteile teilnehmen, weil keine Kinderbetreuung organisiert werden muss.
- Zeitliche Ersparnis, weil die Fahrzeiten entfallen.
Immerhin fast die Hälfte der Eltern fände es sogar gut, wenn künftig alle Sprechtage so stattfinden würden; einige Eltern merkten in den Kommentaren aber auch an, dass das persönliche Gespräch so nicht vollständig zu ersetzen ist, was natürlich auch stimmt.
Was sagen die Lehrkräfte?
Im digitalen Lehrerzimmer gab es noch am Abend zahlreiche positive Kommentare; einige waren überrascht, wie reibungslos die Abläufe waren und insbesondere die Kolleg*innen, die weiter entfernt von der Schule wohnen, waren froh, dass sie nicht mehr ins Auto steigen, sondern nur das Headset zur Seite legen müssen, um in den Feierabend zu gehen.
Hier noch ein ausführlicheres Feedback einer Kollegin, das ich hier veröffentlichen darf (vielen Dank dafür!):
Dem ersten digitalen Elternsprechtag stand ich ehrlich gesagt zunächst mit gemischten Gefühlen gegenüber. Welche Elterngespräche würden mich wohl erwarten? Trotz unserer Anstrengungen in den letzten Wochen gab es vereinzelt auch Kritik, die mich sehr beschäftigte. Durch die Corona-Krise waren die Gemüter zum Teil sehr angespannt. Schwierige Gespräche in den eigenen vier Wänden und diese somit nicht räumlich getrennt von meiner Komfortzone führen zu müssen, bereitete mir zunächst Unbehagen. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob die Technik mitspielen würde und alle zum verabredeten Zeitpunkt auch erreichbar wären. Zudem konnte ich nicht abschätzen, wie es sich für die Eltern anfühlen musste, mich ein Stück weit in ihr Zuhause eintreten zu lassen und ob ich am Ende dann nicht nur vor schwarzen Bildschirmen sitzen würde, was ein persönliches Gespräch noch mehr erschweren würde.
Doch meine Sorgen blieben vollends unbegründet. Die Eltern hatten ihre Kameras an und saßen gut gelaunt, pünktlich und entspannt, teilweise gemeinsam mit ihren Kindern, vor den Bildschirmen. Statt der befürchteten Kritik waren sie voll des Lobes für unsere Anstrengungen und Bemühungen in den letzten Monaten, sodass äußerst nette, konstruktive und auch lustige Unterhaltungen im Laufe des Nachmittags stattfanden. Im späteren Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im virtuellen Lehrerzimmer zeigte sich, dass die meisten wie ich begeistert vom „Online-Elternsprechtag“ waren, da er viele Vorteile bietet:
Eltern müssen nicht zur Schule fahren, sich um eine Kinderbetreuung kümmern, im Schulhaus von Termin zu Termin hetzen und auf den Gängen warten. Lehrer sparen sich ebenfalls die „Anreise“ und können sich bei längeren Pausen zuhause auch kurz anderen Dingen widmen oder nach dem letzten Gesprächstermin „Feierabend“ machen. Insgesamt fördert all dies meines Erachtens Entspannung auf beiden Seiten und trägt zu einer angenehmen Gesprächsatmosphäre bei. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir ab dem kommenden Schuljahr mindestens einen “klassischen“ Elternsprechtag durch einen digitalen ersetzen.
Was bleibt?
Nach den positiven Rückmeldungen aus der Elternschaft und aus dem Kollegium kann ich mir gut vorstellen, künftig einen der beiden Tage des geteilten Sprechtags im Dezember online anzubieten. Dann kann sich jede(r) das raussuchen, was besser passt: Wem das persönliche Zusammenkommen wichtig ist, kommt in die Schule, wer die Lehrkräfte eh schon kennt und nur kurz „Hallo“ sagen oder allgemeine Fragen klären will, bleibt bequem zu Hause. Vielleicht wäre es ja sogar möglich, beide Varianten zugleich anzubieten? Wenn die Eltern bei der Buchung schon angeben würden, ob sie ins Haus kommen oder lieber online kontaktiert werden wollen, bräuchten wir nur noch eine breitbandige Internetanbindung im Schulhaus, um soviele Videotelefonate gleichzeitig zu führen. Obwohl dann natürlich der Vorteil entfallen würde, dass auch die Lehrkräfte einen Termin vollständig von zu Hause aus wahrnehmen können (wenn sie mögen).
Auf jeden Fall sehe ich viel Potenzial, auf das wir wahrscheinlich ohne diese Sondersituation nicht gestoßen wären – so steckt selbst in dieser Krise doch auch ein klein wenig Positives.
Sehr geehrter Herr Schreiner,
bereits durch den Artikel in der brlv Verbandszeitschrift (Ausgabe 5) bin ich auf das Angebot eines digitalen Elternsprechtages aufmerksam geworden. Nun habe ich mich auch über fibs für das entsprechende Seminar am 12.11. angemeldet und stelle fest, dass Sie dieses anbieten. Ich freue mich darauf!
Wir werden den Elternsprechtag auch digital anbieten, auch über Teams und sind mitten in den Vorbereitungen. Am letzten Schultag vor den Herbstferien erhielt das Kollegium die ersten Infos dazu. Ich werde nun die Herbstferien nützen, um unser Vorhaben zu organisieren. Das Seminar am 12.11. hätte ich am liebsten gleich am kommenden Montag! 😉
Meine Anfrage: Haben Sie neuere und/weitere Info zur Durchführung, die wir nützen könnten und uns dadurch Zeit und Nerven sparen könnten?
Mit freundlichen Grüßen
Gerda Seitzinger-Bürkel, Laurentius-Realschule Neuendettelsau, Schulleiterin