Die Lage spitzt sich zu | Corona-Tagebuch #18

17.10. – 01.11.2020

Wäre die zweite Welle der COVID-19-Pandemie ein antikes Drama, befänden wir uns gerade irgendwo im zweiten Akt. Die Situation verschärft und verkompliziert sich („Epitasis“). Der Grund dafür ist nicht schwer zu erkennen:

Hohe Inzidenz – was tun?

Inzwischen sind auch die letzten orangefarbenen Flecken in Bayern der Farbe rot oder dunkelrot gewichen, die bayernweite Inzidenz liegt am 01.11. bei 123. Nun haben die Kultusministerien die Sommermonate intensiv genutzt, um Rahmenpläne aufzustellen für den Fall, dass die während des Sommers recht entspannte Lage sich wieder verschlechtern sollte. So sah der Rahmen-Hygieneplan vom 01.08. in Bayern unter anderem Folgendes vor:

  • Stufe 1 (Inzidenz < 20): Beim Auftreten von Fällen in einer Klasse Quarantäne, ansonsten Normalbetrieb
  • Stufe 2 (Inzidenz 21-35): Maskenpflicht oder Mindestabstand
  • Stufe 3 (Inzidenz 36-50): Einhaltung des Mindestabstands von 1,50m (bedeutet idR geteilte Klassen im Wechselbetrieb)
  • Stufe 4 (Inzidenz > 50): Umstellung auf Distanzunterricht

Vier Wochen später wurde der Plan dann wie folgt geändert:

  • Stufe 1 (I < 35): Normaler Unterricht mit Hygieneauflagen
  • Stufe 2 (I 36-49): Maskenpflicht an weiterführenden Schulen
  • Stufe 3 (I > 50): generelle Maskenpflicht, Einhaltung des Mindestabstands von 1,50m (–> Wechselbetrieb)

Ein Wert für die vorübergehende Schließung von Schulgebäuden ist im aktuellen Plan nicht mehr vorgesehen. Die Stufen treten zudem nicht automatisch in Kraft, sondern werden jeweils, abhängig vom örtlichen Geschehen, vom örtlich zuständigen Gesundheitsamt ausgerufen. Diese Stufenpläne, die es so ähnlich auch in anderen Bundesländern gibt, korrespondieren mit den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts:

Was ist nun passiert in den letzten zwei Wochen?

Die Inzidenz ist sprunghaft angestiegen. Es gab dann einzelne sehr weitreichende Reaktionen (Lockdown im Berchtesgadener Land und in Rottal-Inn), ansonsten blieben die Schulen aber weitestgehend geöffnet, auch bei Inzidenzwerten > 150. Das Kultusministerium hat inzwischen die FAQ zum Stufenplan an die tatsächlich getroffenen Entscheidungen angepasst, dort heißt es nun:

Gegebenenfalls zusätzlich je nach Entscheidung des zuständigen Gesundheitsamts: Wiedereinführung des Mindestabstands von 1,5 Metern mit der (wahrscheinlichen) Konsequenz der Teilung der Klassen und Unterricht im wöchentlichen oder täglichen Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht

https://km.bayern.de/allgemein/meldung/7047/faq-zum-unterrichtsbetrieb-an-bayerns-schulen.html

Ich weiß nicht, ob im Sommer einfach die Hoffnung war, dass diese Szenarien nicht eintreten werden oder ob es eine Veränderung in der Bewertung bei den Entscheidungsträger:innen gegeben hat; jedenfalls sind sich jetzt die führenden Politiker:innen unseres Landes alle einig:

Für die Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte wäre es nun wichtig zu wissen, woher diese Einigkeit kommt? Oft ist zu lesen, dass Kinder und Jugendliche das Virus weniger leicht verbreiten würden und Schulen deshalb verhältnismäßig sichere Orte seien. Prof. Drosten hat dazu allerdings eine klare Meinung:

Und deswegen gibt es nach meiner Auffassung keine vernünftigen Gründe, zu denken, dass Kinder weniger infektiös sind und dass das Infektionsgeschehen in Kitas und Schulen weniger ist als anderswo.

Prof. Christian Drosten

Die internationale Studienlage ist wohl – so habe ich mir von Fachleuten sagen lassen – indifferent, vorgestern wurde in Bayern bekannt, dass sechsmal mehr Kinder mit SARS-CoV-2 infiziert sind als gemeldet wurde. Die Begründungen für die Abweichung von den ursprünglichen Stufenplänen hin zur Haltung, die Schulen „so lange wie möglich“ im Vollbetrieb zu lassen, sind unterschiedlich: Mal geht es um inhaltliche Aspekte („Lücken vom Vorjahr“), mal um pädagogische („Kinder brauchen die direkte Begegnung“), mal um fürsorgliche („Fälle unentdeckten Missbrauchs während der Schulschließung“), meistens steht aber ein anderer Aspekt im Mittelpunkt – die Betreuung der Kinder:

Das Prinzip muss sein: Unsere Kinder müssen betreut werden. […] Schule und Kita hat ja den Zweck auch, um die Wirtschaft laufen zu lassen.

MP Markus Söder in der Pressekonferenz am 27.10.

Das ist einerseits verständlich, andererseits natürlich eine Herausforderung für die Personengruppen, die sich dieser – je nach Standpunkt nun mehr oder gefährlichen – Situation in den Schulen jeden Tag aussetzen. Natürlich entsteht eine gewissen Spannung, wenn Lehrkräfte täglich mehr als einhundert Sozialkontakte ohne Mindestabstand (dafür mit Maske) haben und sich privat aber nicht mit zwei Kollegen in den Garten setzen dürfen. Oder wenn Schüler:innen vormittags mit 30 Personen im Klassenzimmer sitzen, sich aber nachmittags nicht mehr zum Fußballspielen mit den gleichen Kindern treffen sollen. Entsprechend war auch die Reaktion der Verbände eher von Skepsis geprägt:

Lüften

Lüften wird landesweit als probates Mittel gesehen, die Aerosole in den Klassenzimmern wirksam zu verringern. Bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt ist das allerdings eine Herausforderung; Unterricht mit Winterjacke, Mütze und Schal ist dann die neue Normalität. Meine Kinder erzählen mir auch von Mitschüler:innen und einzelnen Lehrkräften, die mit Wolldecken gegen drohende Frostbeulen ankämpfen. Wir sind da fein raus, weil unser nur wenige Jahre altes Schulhaus eine leistungsstarke Lüftungsanlage hat und es deshalb ausreicht, nur gelegentlich zusätzlich querzulüften.

Tatsächlich gab es dann auch einen vierseitigen Flyer vom Umweltbundesamt zum richtigen Lüften und dieses wunderbare Video von der Bezirksregierung Münster:

Da kommt sich wohl der ein oder andere dann doch veräppelt vor. Mich persönlich hat diese Reaktion von @fandorinmusic (das untere Video, leider kann man es nicht allein zitieren) sehr amüsiert:

Prämien für Schulleiter:innen und engagierte Lehrkräfte

Es gibt in Bayern schon lange Leistungsprämien an Schulen, die allerdings vom Umfang her recht niedrig budgetiert sind; einer mittelgroßen Schule stand hier in den letzten Jahren immer ein Beitrag im unteren vierstelligen Bereich zur Verfügung, der dann für besondere Leistungen auf einzelne Lehrkräfte verteilt werden konnte. Umso überraschender kam es nun, dass Schulleiter:innen und im digitalen Bereich besonders engagierte Lehrkräfte ganz kurzfristig Prämien erhalten sollen. Das ist ein interessantes Thema: Einerseits ist es sehr zu begrüßen, dass hier Wertschätzung und Anerkennung zum Ausdruck gebracht werden soll, andererseits stieß die Art und Weise der Umsetzung doch auch auf Kritik (mancher mag nun sagen, den Lehrkräften könne man es eben nie recht machen); Folgendes war in Kommentaren und Leserbriefen zu lesen:

  • Prämien für Beamte, die ohnehin gut (und vor allem sicher) verdienen, seien grundsätzlich ein falsches Zeichen, wenn andere Berufsgruppen um ihre Existenz kämpfen. So titelt z.B. die Süddeutsche in einer Kolumne: „Eine Prämie für die Privilegierten„. Das Ergebnis wäre dann eine Entsolidarisierung der Bevölkerung von der Berufsgruppe der Lehrkräfte, die ohnehin nach dem teilweisen Fernunterrichts-Digital-Debakel aus dem Frühjahr bei den Eltern einen schweren Stand haben.
  • Leistungsprämien, die nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, seien keine. Wenn alle (Schulleitungen), egal ob sie die Herausforderungen gut oder weniger gut bewältigt hätten, eine Prämie bekämen, sei sie kein Zeichen von Wertschätzung mehr.
  • Die Prämien könnten zu Neid und Missgunst in den Kollegien führen.

Ich gehöre ja als Schulleiter zu dem Personenkreis, der die 500,- Euro bekommen wird. Und wie viele andere habe ich auch darüber nachgedacht, Masken oder Luftreiniger davon zu kaufen, bin dann aber wieder davon abgekommen, weil wir hier von unserem Sachaufwandsträger tatsächlich sehr gut und fürsorglich versorgt sind. Ich habe mich deshalb entschieden, das Geld für mein persönliches Konjunkturpaket auszugeben:

https://twitter.com/Tob_Sch/status/1321515462904188930

Und an der Schule?

Um auch die Stimmung in den Elternhäusern mit in alle Entscheidungen aufnehmen zu können, haben wir wieder einmal die Eltern befragt. 86% haben sich an der Umfrage beteiligt; ein deutliches Zeichen, dass es gut war, gefragt zu haben:

Das Feedback für die Schule ist sehr positiv, insbesondere, was Informations- und Kommunikationskultur angeht. Die Mehrzahl der Schüler:innen kommt nach der Wahrnehmung der Eltern mit den Masken gut zurecht, rund 90 Familien melden aber zurück, dass sie das Maskentragen als problematisch empfinden. Ungefähr gleich viele Familien sind in Sorge, was eine mögliche Ansteckung betrifft, wobei bei beiden Themen eine große indifferente Gruppe dabei ist. Etwa die Hälfte der Familien hätte beim Übergang in den Wechsel- oder Distanzbetrieb ein Betreuungsproblem. Teams ist ein sehr geeignetes Mittel für den Distanzunterricht; der Schulmanager eine unschlagbare Hilfe.

Bei hoher Inzidenz (> 100) plädiert eine klare Mehrheit der Eltern dafür, die Schule vollständig geöffnet zu lassen (63%), für den Wechselbetrieb sprechen sich 27% aus, nur 10% plädieren für ausschließlichen Distanzunterricht. Bei den Lehrkräften spricht sich ca. je ein Drittel für die verschiedenen Szenarien aus.

Auch bei uns sind mittlerweile einzelne Klassen in Quarantäne. Wir unterrichten diese Klassen einfach nach Stundenplan weiter, hier ein Ausschnitt aus dem entsprechenden Elternbrief:

Persönlich könnte ich mir auch andere, mehr asynchrone Formate gut vorstellen. Schule funktioniert aber traditionell stark über von außen lenkende Faktoren und enthält im Alltag oft wenig selbstgesteuerte Elemente. Von daher war es wenig überraschend, dass ein Teil der Jugendlichen mit der großen Freiheit im Frühjahr bei der Umstellung auf Wochenplanarbeit zunächst nicht umzugehen wusste, was wiederum die motivationelle Arbeit auf die Eltern übertragen hat; das scheint nun weniger nötig zu sein. Das Feedback zu diesem synchronen Fernunterricht ist dann auch sowohl von Eltern wie von Schüler:innen ganz zufriedenstellend.

Und sonst so?

Jetzt sind erstmal Herbstferien, zeitlich beginnt der „Lockdown light“. Für mich ganz persönlich ist das ehrlicherweise nicht so schlecht, weil die Bergbahnen dann nicht mehr fahren und es entsprechend auf den Bergen ein bisschen ruhiger zugeht. In diesem Sinn: Schöne Ferien!

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