Sharing is caring: Schulleitungen haben das Privileg, bei der Verleihung von Abschlusszeugnissen zu sprechen. Nicht immer küsst einen die Muse aber zur rechten Zeit und manchmal braucht man ein paar Zeilen, die schon dastehen, um dann das eigene daraus zu machen. Meine Abschlussrede 2023 war auch nicht besonders inspiriert, sondern recht allgemein gehalten. Trotzdem veröffentliche ich das hier gerne; im besten Fall kann es dem ein oder der anderen noch hilfreich sein:
Werte Ehrengäste,
liebe Eltern,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, und vor allem:
Liebe Absolventinnen und Absolventen,
zwischen euch und euren Abschlusszeugnissen steht jetzt nur noch die Herausforderung, mir ein letztes Mal zuhören zu müssen. In diesem Rahmen, an dieser Stelle zu euch und Ihnen sprechen zu dürfen, gehört zu den schönsten Momenten, die mein Beruf zu bieten hat; und seid euch gewiss: Ich werde ihn auskosten, denn wie oft kommt es vor, dass man die Möglichkeit hat, seine Überzeugungen und seinen Blick auf die Welt vor so einem wunderbaren Auditorium auszubreiten; noch dazu, wo die Höflichkeit euch gebietet, nicht lautstark zu widersprechen und die Motivation, das Abschlusszeugnis zu erhalten, bei den meisten hoffentlich größer ist als der Fluchtreflex. Da müsst ihr jetzt also nochmal durch.
Zuallererst möchte ich mich bedanken:
- Bei denen, die einen Anteil daran haben, dass wir in dieser schönen Schule unseren Aufgaben nachgehen dürfen,
- bei allen, die zum Gelingen des heutigen Tages beigetragen haben und noch beitragen werden, mein Vorredner hat die Personen und Gruppen genannt,
- bei euch, liebe Absolventinnen und Absolventen, für die gemeinsame Zeit, für alle schönen und lehrreichen Erlebnisse, für euren Einsatz und Fleiß und dafür, dass ihr uns in eurem So-Sein jung haltet,
- bei den Eltern für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Unterstützung der Kinder in allen Höhen und Tiefen sowie
- bei den Lehrkräften, die euch in all den Jahren mit viel Herz und gutem Willen geführt und begleitet haben und die schon einen großen Anteil daran haben, dass wir heute euren Erfolg feiern dürfen.
Ich sage bewusst: „Geführt haben“. Familie und Schule sind die zentralen Orte des Lernens und auch der Erziehung. Erziehung, darin steckt das lateinische Wort „educere“, was in diesem Zusammenhang mit dem deutschen Wort „herausführen“ verstanden werden kann. Wo haben wir euch hingeführt?
Wir entlassen heute knapp 100 Jugendliche in eine Welt, die in den letzten Jahren kräftig durchgeschüttelt wurde von Krisen aller Art. Und es wäre ein Leichtes, darüber trübselig zu werden; die sozialen Medien demonstrieren eindringlich, wie Aufregung und Empörung in algorithmischen Schleifen pausenlos vorgetragen einen Teil der Bevölkerung in Geiselhaft nehmen und Brutkästen von Missgunst und Hass bilden.
Aber das machen wir jetzt mal nicht; schließlich ist heute ein Tag der Freude, der Dankbarkeit und Zuversicht. Was ich stattdessen machen möchte, ist euch noch einige Orientierungshilfen vorzuschlagen. Denn wir haben euch bis zu diesem Punkt geführt und begleitet; nun verlasst ihr uns und geht euren Weg alleine weiter; beziehungsweise mit anderen Begleiterinnen und Begleitern, in jedem Fall aber in größerer Freiheit und Eigenverantwortung.
Die Herausforderung dabei ist, dass ich keine Landkarte für euch habe. Das liegt einerseits daran, dass die Zukunft noch nicht geschrieben ist und dass es ja deine eigene Aufgabe ist, deinen Weg zu finden und so deine eigene Landkarte deines Lebens zu schreiben. Es liegt aber auch daran, dass unsere Welt einem rasanten Wandel unterworfen ist – ich erwähne nur die Stichworte Digitalisierung und Künstliche Intelligenz -, sodass es völlig müßig wäre, Karten zu zeichnen, die morgen schon nicht mehr aktuell wären.
Die Landkarten von gestern und heute sind also nutzlos. Es braucht vielmehr die Fähigkeit, sich auch ohne Landkarte, GPS und Wegweiser zu orientieren. Es braucht allgemeingültige, zeitlose Orientierungshilfen, die uns an Weggabelungen als Maßstab dienen bei der Entscheidungsfindung. Einige solcher Orientierungshilfen möchte ich euch vorschlagen:
Sei authentisch und wahrhaftig.
In der heutigen Welt, die oft von äußeren Erwartungen und vom schönen Schein geprägt ist, ist es wichtig, sich selbst treu zu bleiben. Identifiziere deine Werte, Leidenschaften und Interessen und lass dich nicht leichtfertig von deinem Weg abbringen. Sei stolz auf deine Individualität und habe den Mut, dich selbst zu zeigen, ohne dich zu verstellen.
Verfolge deine Leidenschaften.
Entdecke, was dein Herz zum Leuchten bringt, und verfolge deine Leidenschaften mit Hingabe. Egal, ob es Kunst, Handwerk, Wissenschaft, Technik, Musik oder etwas ganz Anderes ist – wenn du das tut, was dich begeistert, wirst du nicht nur Erfüllung finden, sondern auch deine einzigartigen Talente und Fähigkeiten weiterentwickeln.
Sei dankbar und bereit zu verzeihen.
Das Leben ist eine Reise mit Höhen und Tiefen. In herausfordernden Zeiten übersieht man allzu leicht die positiven Aspekte. Übe Dankbarkeit für die kleinen Dinge und die Menschen um dich herum. Das Schätzen dessen, was du hast, wird dir helfen, ein erfülltes Leben zu führen und mit Herausforderungen besser umzugehen. Wenn du Entscheidungen triffst und Wege gehst, wird ein Teil dieser Entscheidungen falsch sein. Und du wirst – bei allem aufrichtigen Bemühen – mit deinem Reden und Tun nicht nur Gutes bewirken und ebenso werden andere dich verletzen. Dann ist es wichtig, ohne falschen Stolz selbst um Verzeihung bitten zu können, aber auch offen für Entschuldigungen anderer Menschen zu sein; das macht das Leben sehr viel leichter als die eigene Schuld oder den Zorn auf andere wie Wackersteine auf der Seele mit sich herumzutragen.
Investiere in Beziehungen.
Deine Beziehungen zu Familie, Freunden und euren Mitmenschen sind von unschätzbarem Wert. Pflege sie und investiere Zeit und Energie, um sie zu stärken. Teilt eure Freuden und Ängste miteinander und unterstützt euch gegenseitig auf eurem Lebensweg. Glück entsteht oft aus den Beziehungen, die wir pflegen.
Sei offen für Veränderungen und bereit für Komplexität.
Das Leben ist voller Überraschungen und Veränderungen. Sei bereit, dich anzupassen und neue Wege zu beschreiten. Manchmal führen uns unerwartete Wendungen zu den besten Erfahrungen. Lass dich nicht von der Angst vor dem Unbekannten aufhalten, sondern betrachte Veränderungen als Chance für persönliches Wachstum. Diese sich ständig rasant verändernde Welt ist komplex. Nicht kompliziert; dann müsste man einfach mehr lernen, sondern komplex. Das bedeutet, dass wir häufig Dinge nicht mehr ganz verstehen können und dass wir immer wieder auch Entscheidungen treffen müssen, ohne deren Wirkung ganz genau vorhersehen zu können. Das ist in Ordnung; wir dürfen dabei nur nicht den Populisten auf den Leim gehen, die uns für komplexe Herausforderungen oft allzu einfache Antworten anbieten wollen, sondern wir sollten uns an denen orientieren, die ruhig und sachlich die besseren Argumente vortragen.
Liebe Absolventinnen und Absolventen,
ihr steht an einem spannenden Punkt in eurem Leben; vergleichbar vielleicht mit einem Brotzeitbankerl bei einer Wanderung. Zeit zum Durchschnaufen, Zeit, auf das Erreichte mit Freude und Dankbarkeit zurückzuschauen, aber auch der Moment, über den weiteren Weg zu entscheiden. Ich möchte euch ermutigen, die Welt trotz aller Herausforderungen mit Offenheit und Begeisterung zu entdecken.
Ich wünsche euch von Herzen alles Gute für eure Zukunft und dass euer Leben erfüllt sein soll von Liebe, Freude und Erfolg. Nun lasst uns diesen besonderen Tag feiern und die nächste Etappe eurer Reise beginnen!
Vielen Dank.