Dominik Schöneberg, Lehrer und Blogger aus NRW, hat in einem Blogbeitrag beschrieben, wieso er kein Schulleiter werden will. Und anschließend darum gebeten, das zu kommentieren:
Dieser Beitrag ist eine Replik auf Dominiks Artikel; es lohnt sich also nur, ihn zu lesen, wenn man diesen Text vorher gelesen hat. Und so wie er aus seiner persönlichen Perspektive schreibt, nehme ich meine persönliche Perspektive ein, die ich mir in 7 Jahren als stellvertretender Schulleiter und 5 Jahren als Schulleiter erarbeitet habe und erhebe damit nicht den Anspruch der Allgemeingültigkeit. Dominik beschreibt – durchaus zutreffend – eine ganze Reihe systemimmanenter Herausforderungen (er nennt sie „Mängel“) und ich erzähle meine Perspektive dazu. Erwähnt werden sollte noch, dass Schulleitung in verschiedenen Schularten und Bundesländern sehr unterschiedliche Befugnisse und Verantwortlichkeiten mit sich bringt, was die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit noch weiter einschränkt. Jetzt aber los:
Überforderung durch Aufgabenflut?
Freilich sind die Aufgaben, für die man als Schulleiter Verantwortung trägt, zahlreich und vielfältig. Insbesondere die Vielfalt der Aufgabenbereiche macht für mich aber einen ganz großen Teil des Reizes aus: Innerhalb weniger Stunden bin ich oft Lehrer, Berater, Krisenseelsorger, Behördenleiter, Bauplaner, IT-Stratege, Coach, Unterrichts- und Personalplaner, Pressesprecher, Mediator, Personalreferent, Content Manager und manches mehr. Wo sonst hat man die Möglichkeit, so vielfältig tätig zu sein und dabei auch noch seine Schwerpunkte selbst zu wählen?
Und vor allem: Die allermeisten dieser Aufgaben übernehme ich ja nicht alleine, sondern als Teil eines großen Teams (bei mir z.B. elf Mitarbeiter*innen in Schulleitung und -verwaltung, Schulpsychologie, Schulberatung und Systembetreuung), die viele Vorgänge entscheidungsfertig vorbereiten und für den Fall meiner Überforderung auch komplett übernehmen. Ohne diese Unterstützung aus dem Team (wie ich es z.B. insbesondere bei kleineren Grundschulen wahrnehme), könnte ich meine Arbeit aber tatsächlich nicht machen.
Zu wenig Zeit für zu viele Menschen?
Dominik schreibt, dass es wünschenswert wäre, dass bei einer Schulleitung die Tür immer offen steht. Und tatsächlich ist niederschwellige Ansprechbarkeit etwas sehr Schönes und das Gefühl, helfen zu können, befeuert den Selbstwert, führt aber am Ende des Tages dazu, dass man nichts von der eigenen Liste geschafft hat und irgendwie trotzdem das Gefühl hat, niemandem wirklich gerecht geworden zu sein.
Ich habe daher schon vor einiger Zeit für mich selbst eine andere Perspektive gewählt: Meine Aufgabe ist es nicht in erster Linie, für alle Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte jederzeit und direkt ansprechbar zu sein (wiewohl ich mich oft genug nicht daran halte), sondern meine Aufgabe wäre es eigentlich, mein enges Team und die Lehrkräfte so zu begleiten, dass die vielfältigen Bedürfnisse stets auf ein kompetentes Gegenüber treffen und das eben nicht von meiner Verfügbarkeit abhängt. Je sicherer, kompetenter und freier (das hat viel mit Vertrauen und Loslassen und dem Verzicht auf Mikromanagement zu tun) das Team agiert, umso mehr Freiraum entsteht in der Schulleitung.
Und dieser Freiraum kann dann für die nächsten Schritte der Teamentwicklung genutzt werden oder eben für die (regelmäßig auftretenden) besonderen Fälle, um die man sich gern selbst kümmert.
Teamwork in der Schulleitung ist kompliziert?
Dass es nur in sehr engen Grenzen möglich ist, Personalentscheidungen fürs Führungsteam selbst zu beeinflussen, ist tatsächlich ein Manko. In Bayern entscheidet die Schulleitung mit bei der Auswahl des Verwaltungspersonals (Schulsekretariat – ganz wichtig!) und der erweiterten Schulleitung (geniale Entwicklung der letzten Jahre). Aber zum Beispiel der Job der stellvertretenden Schulleitung wird „von oben“ besetzt. Da kann man nur versuchen, beim Vorstellungsgespräch die eigene Vision guter Schule sehr transparent zu machen, sodass das Gegenüber Klarheit darüber hat, worauf er*sie sich einlässt.
Tatsächlich ist ein (sehr) gut funktionierendes Team in der Schulleitung und -verwaltung unglaublich wichtig – nicht nur für die psychische Gesundheit des Schulleiters, sondern für die Gesamtstimmung an einer Schule. Eine Schule zu leiten, ist selbst in einem perfekt eingespielten Team immer noch eine große tägliche Herausforderung; ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn in diesem Team nicht mit-, sondern gegeneinander gearbeitet wird; da würde ich wohl schnell den Weg zurück ins Klassenzimmer wählen, so würde ich nicht arbeiten wollen.
Für so ein Team kann und muss man aber natürlich auch was tun; das pflegt sich nicht von alleine. Das wäre aber mal ein eigenes Thema.
Keine Unterstützung durch Experten?
Stimmt für mich nicht. Ich hole mir Unterstützung, wann immer ich sie brauche und bisher konnte ich auch immer die Mittel dafür noch auftreiben.
Verwaltung des Mangels?
Ja und nein. Ein echtes Problem ist der Lehrkräftemangel, der sich in manchen Schularten abzuzeichnen beginnt und in anderen schon sehr deutlich spürbar ist. Bei der Ausstattung braucht man Glück mit dem Sachträger und ggf. ein bisschen Kreativität, dann ist schon vieles machbar. Natürlich ist eine staatliche Schule nie ein pädagogisches Utopia; aber das wussten wir ja vorher. Es ist auch eine reizvolle Aufgabe, in allem stets das maximal Mögliche zu versuchen.
Schulleitungen als Blitzableiter?
Es stimmt schon, dass viel Unmut von verschiedenen Seiten bei der Schulleitung abgeladen wird; aber ich finde das erstmal nicht negativ: Wenn Menschen emotional reagieren, zeigt das ja vor allem, dass ihnen etwas nicht egal ist. Gleichgültigkeit wäre viel schlimmer. Auf Emotionen kann man gut reagieren, kann versuchen, sie wertzuschätzen und kann erklären, Sorgen ernst nehmen und im Rahmen der Möglichkeiten häufig auch Lösungen finden.
Dazu muss man lernen, sich von der Emotion nicht zu sehr persönlich treffen zu lassen, ohne die Ernsthaftigkeit im Umgang damit aufzugeben. Vielleicht wäre es ganz hilfreich, alle angehenden Schulleitungen erstmal ein Praktikum im Beschwerdemanagement eines großen Unternehmens machen zu lassen 😉
Schulleitung bedeutet Korsett statt Gestaltungsfreiheit?
Auch hier wieder: ja und nein. Man darf nicht blauäugig herangehen: Das staatliche Schulsystem ist ein behäbiger Tanker und wir sind alle nur kleine Rädchen im Maschinenraum. Wer alles ganz anders machen will, braucht einen Mäzen und muss eine Privatschule gründen. Trotzdem gibt es auch im Rahmen der bestehenden Vorgaben durchaus Spielräume, die man erkennen und nutzen kann; weniger häufig im „Was“, aber sehr oft im „Wie“. Aber klar, die ganz großen Fragen werden nicht auf Ebene der Einzelschule entschieden.
Dauerhaftes Veränderungsmanagement?
Meines Erachtens kein Hemmnis, sondern einer der schönsten Gründe, sich für den Job als Schulleiter zu entscheiden: Noch nie war die Gesellschaft so vielfältigen, grundsätzlichen und schnellen Veränderungsprozessen unterworfen wie in den letzten Jahrzehnten (sieht man von krisenhaften Veränderungen wie Kriegen ab). Das bedingt zwangsläufig eine Veränderungsnotwendigkeit auch für die Schulen; niemand widerspricht da ernsthaft. Und auch, wenn die Rahmenbedingungen sich nur zaghaft verändern, gab es vielleicht nie eine bessere Zeit für Menschen, die den Wandel positiv begleiten wollen; früher war in Schule viel weniger Veränderung und das würde mich, glaube ich, doch schnell langweilen.
Partizipation bedeutet mehr Aufwand für Schulleiter?
Echte demokratische Partizipation gibt es nach meiner Wahrnehmung an Schule noch viel zu wenig; dazu sind die Gestaltungsräume der formell eingesetzten Gremien viel zu eng. Aber ich habe da keinen guten Überblick und das mag in verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich sein. Aber auch das ist eine Aufgabe, die unglaublich reizvoll und schön ist; und wenn man partizipatorische Prozesse vor dem Hintergrund der Möglichkeiten der Digitalisierung denkt, ist auch der zeitliche Aufwand überschaubar – vor allem aber lohnenswert.
Personalverantwortung ohne Personalentwicklung?
Mit der Einführung der erweiterten Schulleitung ist die Führungsspanne in Bayern mit nun 1:12 zwar immer noch ziemlich groß und die Leitungszeit der Mitarbeitenden in der erweiterten Schulleitung ist auch knapp bemessen; dennoch hat das viel Qualität gebracht. In der Tat kann ein Schulleiter einem Kollegium von 50 – 100 und mehr Lehrkräften nicht gerecht werden. Das geht wieder nur im Leitungsteam und wo es sowas nicht offiziell gibt, muss man nach informellen Möglichkeiten suchen.
Und ja; die Möglichkeiten, Personal zu entwickeln, sind begrenzt. Ich kann niemanden einstellen oder kündigen, ich kann (fast) keine Boni verteilen, etc. Aber wir können regelmäßig Gespräche führen, wir können Potenziale und Interessen berücksichtigen, wir können nach Passungen im Unterrichtsbetrieb suchen, wir können Türen für Kreativität und Engagement öffnen und wir können unterstützen, wo jemand Hilfe braucht. Das ist doch gar nicht so wenig.
Leistung lohnt sich für Schulleiter nicht?
Insbesondere an weiterführenden Schulen wäre das Jammern auf hohem Niveau. Beamtengehälter sind ja öffentlich einsehbar und ein 50-jähriger Schulleiter an einer bayerischen Realschule hat ein Grundgehalt von über 80.000 Euro; ggf. zuzüglich Familien- und Kinderzuschlägen. Was aber stimmt: Der Gehaltsunterschied zwischen Lehrer und Schulleiter ist nicht sehr groß; im beschriebenen Fall sind es rund 1200 Euro im Monat. Vergleichen mit den Gehaltsunterschieden zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften in der Wirtschaft ist das wenig, sodass es rein aus finanzieller Sicht vor dem Hintergrund des Mehr an Verantwortung nicht attraktiv ist, in die Schulleitung zu wechseln. Und das ist meines Erachtens auch gut so.
Work-Life-Balance: Schulleitung oder Privatleben?
Ist wahrscheinlich Typsache. Ich habe als Lehrer auch schon viel gearbeitet. Unterm Strich würde ich schätzen, dass sich meine Gesamtarbeitszeit nicht sehr verändert hat: Jetzt arbeite ich während der Schulzeit mehr, in den Sommerferien habe ich weniger Urlaub, dafür muss ich viel weniger korrigieren. Dass man aber als Schulleiter keinerlei Zeit mehr für Hobbies oder Familie hätte, stimmt überhaupt nicht; Freunde in vergleichbar bezahlten Jobs in der Wirtschaft arbeiten jetzt auch nicht weniger. Und die unmittelbare Verfügbarkeit in Krisen gibt es auch in etlichen Jobs; das muss man sich halt vorher überlegen, ob man das will – als Lehrkraft sind die Tage planbarer, das stimmt.
Unangemessene Bezahlung?
Empfinde ich für weiterführende Schulen überhaupt nicht so (s.o.); nicht vergessen darf man ja die umfassende persönliche Absicherung und die der eigenen Familie durch den Beamtenstatus. Freilich hat man das als Lehrer auch, aber – wie oben schon geschrieben – sollte man sich für die Aufgabe als Schulleitung nicht in erster Linie des Geldes wegen entscheiden; deswegen finde ich, dass das grundsätzlich schon so passt. Schulleitungen an Grund- und Mittelschulen sind aber unterbezahlt. Diese Ungleichbehandlung sehe ich persönlich nicht begründet.
Was Schulleitungen helfen könnte?
Dominik macht noch eine Reihe von Vorschlägen, die ich teilweise für sinnvoll halte, teilweise aber persönlich ablehne (z.B. den „Geschäftsführer“ – fast alle Entscheidungen, die ich treffe, sind pädagogisch begründet und reflektiert, das würde mich gefühlsmäßig überhaupt nicht entlasten). Wenn wir hier bei „Wünsch dir was“ wären, würde ich sagen:
- Mehr Leitungszeit für die Mitglieder des Schulleitungsteams (Stellvertreter, Erweiterte Schulleitung, Schulsekretariat)
- In manchen Bereichen mehr Gestaltungsspielräume
- Institutionalisierung von Supervision und Coaching
- Angleichung der Gehaltsstrukturen über alle Schularten hinweg
Mein persönliches Fazit
Ich finde nach wie vor, dass es eine sehr schöne, vielfältige und herausfordernde Aufgabe ist, in der Schulleitung tätig zu sein. Aber es muss einem klar sein, dass es ein völlig anderer Beruf ist als der der Lehrkraft. Gute Lehrkräfte sind nicht zwangsläufig gute Schulleitungen. Und die vorgeschriebenen Weiterbildungen decken notwendigerweise nur einen kleinen Teil dessen ab, was die Aufgabe verlangt. Vielleicht ist das ja auch mit ein Grund, warum manche wieder aufgeben – weil sie entweder nicht genau wussten, worauf sie sich einlassen oder erst im Job gemerkt haben, dass sie das nicht können oder nicht wollen, was nun von ihnen verlangt wird? Da könnte man gut weiterdenken, um die Führungskräfteentwicklung im Schulwesen zu professionalisieren.
„Vielleicht ist das ja auch mit ein Grund, warum manche wieder aufgeben – weil sie entweder nicht genau wussten, worauf sie sich einlassen oder erst im Job gemerkt haben, dass sie das nicht können oder nicht wollen, was nun von ihnen verlangt wird?“
Ich habe nun gerade beide Beiträge gelesen. Merci für das Hervorheben der schönen Seiten.
Der Abschnitt oben ist für mich der Grund gewesen, warum ich das Buch „Trauberuf Schulleitung. Auf Denkreise durch den Berufseinstieg“ geschrieben habe, um interessierten Personen eine realistische Tätigkeitsvorschau zu geben und dazu beizutragen, dass Lehrpersonen und Quereinsteigende sich zumindest theoretisch ein Bild machen können, was sie erwartet. Die Praxis ist dann wieder eine andere Sache.