Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen („Blogparade“). Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt.
Weil ich wieder spät dran bin, gibt es schon eine ganze Reihe Beiträge in der dritten Runde der Blogparade, zum Beispiel:
Halbtagsblog / SchulMUN / Herr Mess / Susanne Posselt / Herr Rau
Ich bin ein bisschen zwiegespalten bei dem Thema: Denn zum einen war ich gar nicht so wirklich lang „nur“ Lehrer, weil ich im Zuge der Neugründung einer Schule schon nach wenigen Berufsjahren die Chance hatte, in die Schulleitung zu wechseln, sodass mir diese Perspektive auf Schule mittlerweile vertrauter ist. Zudem ist es schon auch so, dass in den 20 Jahren, die ich inzwischen in der Schule arbeite, die Rahmenbedingungen nicht unbedingt einfacher geworden sind, was die Attraktivität des Jobs durchaus teilweise auch beeinträchtigt.
Andererseits: Die Stunden, in denen ich das Büro verlassen und Unterricht halten darf, sind die schönsten meines Arbeitstags. Das ist inspirierend, oft fröhlich und spannend, auf jeden Fall immer überraschend und oft anders als geplant – wie Jugendliche halt so sind. Und auch wenn es Tage gibt, an denen ich mir wünsche, ich hätte als Abiturient noch einen breiteren Blick über die Berufswelt gehabt, ist es doch an den allermeisten Tagen so, dass ich mit sehr viel Freude in die Schule gehe (und nachmittags beschwingt auch wieder raus).
Warum es so schön ist, Schulleiter*in zu sein, darüber habe ich übrigens hier schonmal geschrieben.
Was sind nun meine Gründe dafür, das Berufsbild nach wie vor attraktiv zu finden?
Sinnstiftung
Millionen Menschen sind in Bullshit-Jobs gefangen, behauptet Buchautor David Graeber. Passend dazu hab ich gerade ein ganz nettes Tiktok gesehen:
Das wird dir in der Schule nie passieren. Wenn du fehlst, dann fehlst du wirklich. Klar, auch weil wir Lehrermangel haben und die Ressourcen ganz grundsätzlich zu knapp bemessen sind. Aber schon auch, weil wir mit Menschen arbeiten, für die wir wichtig sind. Mit jungen Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Und es ist keine Hybris zu behaupten, dass es für diese jungen Menschen einen ganz gewaltigen Unterschied macht, wer da vor ihnen steht. Und wer es schafft, eine gute Beziehung zu den Schüler*innen aufzubauen, wer – gerade für diejenigen, die das vielleicht zuhause nicht haben – der stabile Anker im Alltag ist, der legt die Basis für viele gelingende Leben. Klingt schwülstig, ist aber so. Was Lehrer*innen täglich in der Schule für Kinder und Jugendliche tun, macht einen Unterschied, es wirkt. Wenn du einen Job mit „Impact“ haben möchtest – geh dahin, wo junge Menschen sind.
Der Job hält einen jung.
An der Schule, die ich als Schüler bis zum Abitur besucht habe, gibt es einen Lehrer, der dort seit 32 Jahren die Theatergruppe leitet. 1997 und 1998 stand ich selbst als „Bischof von Córdoba“ (Don Juan) und als „Puck“ im Sommernachtstraum auf der Bühne und anlässlich des 25-jährigen Bühnenjubiläums hat er den Shakespeare-Klassiker wiederholt. Wir schauten uns das an, bewunderten – ein bisschen melancholisch – die Spielfreude der Jugendlichen und danach durften wir als Ehemalige mit zur Party kommen, wo die Schüler*innen ausgelassen feierten. Ich gratulierte dem Kollegen zu seinem Erfolg und er sagte sinngemäß zu mir: „Schau sie dir an!“ und ließ den Blick über sein 40-köpfiges Ensemble schweifen. „So viel Lebensfreude, so viel Unbekümmertheit, so viel jugendliche Energie – was für ein Geschenk, daran teilhaben zu dürfen!“ So ist das.
Persönliche Interessen und Begabungen einbringen
Besagter Kollege hat also ein Faible fürs Theater und für die große Literatur. Und sein Beruf als Lehrer ermöglicht es ihm, junge Menschen mit seiner Theaterbegeisterung anzustecken und gemeinsam mit ihnen die Klassiker auf die Bühne zu bringen. Freilich, er könnte auch eine Hobbybühne leiten – aber der schulische Rahmen ist ein besonderer, auch ein privilegierter, und es gibt wohl nicht viele Berufe, wo man seine persönlichen Talente und Interessen so einbringen kann. Das beginnt schon mit der Wahl der Unterrichtsfächer, geht aber deutlich darüber hinaus:
Als Jugendlicher spielte ich Schach im Verein – der Vorschlag, eine Schach-AG zu gründen, stieß sofort auf offene Ohren. Ich konnte eine Schachlehrer-Ausbildung machen, der Förderverein finanzierte das Material und los ging’s. Während der Studienzeit verdiente ich mir als Jongleuer und Gaukler bei Straßenfesten und Kindergeburtstagen etwas dazu. Der Schulleiter meiner ersten Schule schaffte Einräder, Bälle, Ringe und Keulen an und schon hatte ich 20 Kinder um mich herum, die das auch lernen wollten. Seit Kindestagen beschäftige ich mich gerne mit Technologie und Computern; als Systembetreuer konnte ich das ausbauen und beruflich nutzen (ok, das war eine dumme Idee, aber das ist ein anderes Thema).
Du planst gerne Reisen? Organisatoren und Begleitlehrkräfte für Klassenfahrten sind heiß begehrt. Du sprichst eine Fremdsprache? Bestimmt finden sich Schüler*innen, die das im Rahmen eines Wahlfachs lernen wollen. Du spielst Gitarre? Fast alle Schüler*innen singen gern, wenn man den passenden Rahmen dafür schafft. Du machst Yoga? Biete ein Wahlfach an oder unterstütze dein Kollegium, indem du eine Fortbildung zur „Rhythmisierung mit Atem- und Bewegungsübungen“ hältst. Du hast ein künstlerisches Talent? Die Stadt ist vermutlich offen dafür, die Unterführung an der Schule im Rahmen eines Projekts bunt zu gestalten. Du machst Musik und kennst dich mit Veranstaltungstechnik aus? Prima, die Technik-AG braucht eh eine neue Leitung!
Jetzt kann man sich natürlich fragen, wo die Zeit für all das herkommen soll? Teilweise gibt’s Anrechnungsstunden (meistens zu wenige), teilweise ist es aber auch eigenes Engagement, das da einfließt, völlig klar. Trotzdem: Meine eigenen Interessen und Begabungen in den Job einbringen zu können, finde ich großartig und hat für mich von Anfang an einen großen Anteil daran gehabt, gerne in einer Schule und mit Jugendlichen zu arbeiten.
Erfolg in der Schule misst sich nicht in Geld.
Ich kenne viele Menschen in meinem Umfeld und Alter, die selbständig sind oder sehr verantwortungsvolle Jobs in kleineren oder sehr großen Unternehmen haben. Und ihre Jobs haben oft komplexe, herausfordernde, spannende Tätigkeitsbeschreibungen. Am Ende geht es aber doch häufig um Geld, das verdient werden muss. Und da kommt es durchaus vor, dass sinnvolle Dinge nicht weitergemacht werden, weil sie kein oder nicht genug Geld einbringen. Ich bin immer wieder froh, dass sich der Erfolg meiner Arbeit nicht in Geld messen lässt und wir als Angestellte oder Beamt*innen an Schulen andere Werte haben, nach denen wir unsere Arbeit gestalten. Ich bewundere die Menschen, die mit ökonomischem Sachverstand dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft läuft; zugleich bin ich dankbar, dass ich für meine Berufstätigkeit eine Nische gefunden habe, die anders tickt.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Auch wenn man als Lehrer*in häufig das Gefühl hat, nicht fertig zu sein und man doch oft abends oder auch an Wochenenden noch mit Vorbereitungen, Schülerbeobachtungen oder Korrekturen da sitzt: Unterm Strich ist der Job als Lehrkraft schon sehr familienfreundlich. Einen großen Teil der Arbeit kann man sich auch in der Schulzeit frei einteilen und während normale Arbeitnehmer*innen Urlaubstage- und Oma-Tetris spielen müssen, um die 14 Ferienwochen irgendwie abzudecken, hast du als Lehrer*in einfach gemeinsam mit den Kindern Ferien und kannst dir die Arbeit, die du in den Ferien erledigen musst, so einteilen wie du willst.
Attraktive Rahmenbedingungen
Ein – wenn man nicht gerade in München lebt – wirklich ordentliches Gehalt, maximale Jobsicherheit, beste Absicherung bei gesundheitlichen Schwierigkeiten (auch für die Familie), gute Weiterbildungsmöglichkeiten, usw. – das sollte alles nicht der Grund dafür sein, Lehrer*in zu werden, spielt aber schon auch eine Rolle für die Attraktivität des Jobs.
Ja, aber es gibt doch auch viele Schattenseiten?!
Stimmt. Aber um die sollte es in diesem Text ja ausdrücklich nicht gehen 😉
Was für ein wunderbarer Text!
Das würde ich so unterschreiben.