Wie Schule in der Corona-Krise unterstützend wirken kann

Zwei Wochen sind die Schulen nun geschlossen und wir haben ein wenig Erfahrung mit dem Fernunterricht sammeln können. In den folgenden neun Punkten beschreibe ich, wie es meiner Meinung nach gelingen kann, dass Schule in dieser außergewöhnlichen Zeit unterstützend und nicht als zusätzlicher Belastungsfaktor in Gesellschaft und Familie hineinwirken kann; der Text ist als kollegialer Appell in der Du-Form gehalten:

  1. Gewohntes nutzen. Verwende vorwiegend die Plattformen und Tools, die du und die Schüler*innen aus dem Unterricht schon kennen. Jetzt auf die Schnelle neue Wege einzuführen, überfordert viele. Wo es nicht vermeidbar ist, weil auf wenig Bewährtes zurückgegriffen werden kann, sollten einfache und auf Kommunikation spezialisierte Werkzeuge (Foren, Chats, Schul-Apps) den Vorzug vor komplexen Learning-Management-Systemen haben, deren Fokus eher darauf liegt, Aufgaben zu stellen und Material zu verteilen. Wenn Plattformen neu eingeführt werden, sollten die Arbeitsaufträge von noch geringerem Umfang sein, weil das Erlernen des Umgangs mit den neuen Werkzeugen viel Zeit in Anspruch nimmt.

  2. Setze den Fokus vor allem auf die Pflege von Beziehungen und weniger auf die inhaltliche Arbeit (evtl. mit Ausnahme der Abschlussjahrgänge wegen der Prüfungsvorbereitung). Für viele Schülerinnen und Schüler und auch deren Eltern ist die Gesamtsituation stark verunsichernd. Die Aufgabe von Schule ist es nun, Stabilität, Sicherheit und auch einen Rest Normalität in die Familien zu bringen. Dazu leisten auch Aufgaben in einem vernünftigen Maß einen Beitrag, wichtiger ist aber die Pflege der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern.

  3. Die Arbeitsaufträge sollten vor allem der Übung und Vertiefung bereits behandelter Stoffgebiete dienen; neue Themengebiete sollten – wenn überhaupt – nur sehr zurückhaltend und behutsam eingeführt werden . Das ist einerseits – in Bayern – die offizielle Vorgabe des Ministeriums, andererseits soll dadurch möglichst vermieden werden, dass Kinder abgehängt werden, die zu Hause weniger intensiv unterstützt werden können.

  4. Sei niederschwellig erreichbar. Die soziale Funktion von Schule, der individuelle Kontakt zwischen Schüler*innen und Lehrkräften ist digital nicht ganz einfach aufrechtzuerhalten, aber umso wichtiger. Das Gefühl, mit den schulischen Aufgaben überfordert zu sein, kann stark verunsichern, wenn keine stabilen Unterstützungsstrukturen (auch zu den Lehrkräften) bestehen. E-Mail reicht nicht aus, das ist nicht das Medium der Jugendlichen. Optimal wären klassenbezogene Chatsysteme, die auch Telefonie und Videokonferenzen ermöglichen. Wo das nicht vorhanden ist, kann – nach persönlicher Bewertung der datenschutzrechtlichen Fragen – auf eine Vielzahl im Moment kostenfreier Tools (z.B. Zoom, Jitsi, Discord) zurückgegriffen werden.

  5. Bitte um Feedback. Es ist gut, in regelmäßigen Abständen alle Mitglieder der Schulgemeinschaft nach ihren Erfahrungen zu befragen und gegebenenfalls nachzusteuern. Digitale Umfragetools erleichtern das sehr.

  6. Einheitlichkeit und Struktur ist wichtig. Wenn jede Lehrkraft einen anderen Weg wählt, Arbeitsaufträge zu stellen, Materialien zu verteilen, Kommunikation zu pflegen (oder nicht) und auch die Aufgabenerledigung zu prüfen, wird das gerade für jüngere Schülerinnen und Schüler schnell komplett unübersichtlich und führt zu Überforderung und Frust. Durch die Zusammenarbeit im Kollegium entstehen auch Synergien: Wenn Aufgaben ohnehin hauptsächlich der Übung und Vertiefung dienen sollen, muss nicht jeder für seine Klasse alles neu erstellen, sondern es kann gut jahrgangsstufenweise zusammengearbeitet werden.

  7. Nutze vorhandene digitale Angebote und stelle vor allem kreative, offene Aufgaben. Zu fast allen Fächern und Themen gibt es Videos, Rätsel und vieles mehr. Vorhandenes zu nutzen, spart deine Zeit, die du in die Kommunikation investieren kannst. Aufgaben zu stellen, die nicht in der Abarbeitung eines Materialbergs bestehen, sondern die die Schüler*innen miteinander und mit der Lehrkraft in Kontakt bringen, sind stark motivierend; viele Schüler*innen betrachten es als Ehre, eine wertschätzende Nachricht von ihrer Lehrkraft zu erhalten. Aufgaben dürfen Angebotscharakter haben; es ist sehr entlastend zu wissen, dass es in Ordnung ist, im Zweifelsfall nicht alles zu schaffen.

  8. Auch wenn in den meisten Familien eine gewisse digitale Grundausstattung vorhanden ist, darf das nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die wenigsten Familien haben einen Computer pro Kind und nicht alle besitzen Drucker, Papier und Patronen in größeren Mengen. Versuche deshalb, deine Aufgaben so zu stellen, dass auch die Kinder, die nur ein Handy haben, sie gut erledigen können.

  9. In vielen Familien spitzt sich gerade jetzt, in der zweiten und dritten Woche des Shutdown, die Lage zu. Manche bangen um ihren Arbeitsplatz, viele sind von der Gesamtsituation stark verunsichert, einige auch verängstigt. Dadurch ist die Stimmung in vielen Familien angespannt. Schule kann in dieser Situation unterstützend und nicht als zusätzlicher Belastungsfaktor agieren, wenn Aufgabenfülle und Verbindlichkeit der Erledigung hinter Kommunikation und Feedback zurückstehen und auch weitere Unterstützungsstrukturen (Erziehungsberatungsstellen, Schulsozialarbeit, Schulpsychologe, gegebenenfalls auch Nachhilfeangebote) eng mit eingebunden werden.

CC BY-NC-SA 3.0 DE

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