Digitale Kompetenzen fördern

Die Vodafone Stiftung hat auf Basis der ICILS 2018 Daten eine vertiefende Analyse zu Erfolgsfaktoren an nicht-gymnasialen Schularten vorgenommen und der Journalist Christian Füller hat nach einer Einschätzung der Ergebnisse und Tipps gefragt. Weil das Thema spannend klingt, werfe ich gerne einen Blick darauf. Ich muss aber dazu sagen, dass meine Einschätzung nicht auf Basis breiter Empirie, sondern nur ganz subjektiv aus der Perspektive von jemandem erfolgt, der seit über zehn Jahren Schulentwicklung mit Fokus auf die Ausprägung digitaler Kompetenzen an einer nicht-gymnasialen Schule betreibt.

Link zur Studie

Leider triggert mich schon der Beginn des Textes:

Wie erfolgreich Schulen in Deutschland Digitalkompetenzen vermitteln, hängt auf den ersten Blick stark von der Schulform ab. Die Ergebnisse der International Computer and Information Literacy Study (ICILS) von 2018 zeigen, dass Achtklässlerinnen und Achtklässler an Gymnasien im Mittel über höhere Digitalkompetenzen verfügen als Gleichaltrige an Schulen, die keinen oder nicht ausschließlich einen gymnasialen Bildungsgang anbieten. (S. 3)

Meines Erachtens wird hier im ersten Satz Kausalität und Korrelation grob vermischt; die Tatsache, dass Schüler:innen, die ein Gymnasium besuchen, im Mittel über höhere Digitalkompetenzen verfügen, sagt erstmal nichts darüber aus, dass die Schulen was dafür können; dennoch wird diese Kausalität sofort in den Raum gestellt; zwar aufgeweicht durch „auf den ersten Blick“; dennoch ist der Rahmen geschaffen.
Ich unterrichte ja bekanntlich IT an einer bayerischen Realschule. Das Fach Informationstechnologie wird dort schon seit rund zwei Jahrzehnten mit einer recht hohen Stundenzahl unterrichtet. Bei den Schüler:innen, die wir regelmäßig in höhere Jahrgangsstufen von Gymnasien aufnehmen, kann ich diese These nicht bestätigen. Aber n=1 und Bayern macht halt auch keine verallgemeinerbare Statistik. Schauen wir weiter:

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Erfolge digitaler Optimalschulen sind umso bemerkenswerter, als traditionelle Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem hier nicht reproduziert werden. Es gibt an diesen Schulen keine Leistungsunterschiede in den digitalen Kompetenzen nach Geschlecht, Migrationshintergrund oder der sozialen Lage der Schülerinnen und Schüler. (S. 3)

Diese Feststellung legt die Vermutung nahe, dass es sich einfach insgesamt um gute Schulen handelt, die viel richtig machen und dass diese Art und Weise, mit den Herausforderungen, miteinander und mit den Lernenden umzugehen, zu Erfolgen in vielen verschiedenen Bereichen führt. Gute Schulen sind selten nur auf einem Gebiet gut.

Digitale Optimalschulen sind, was Hardware, Software und Netzanschluss angeht, rein quantitativ betrachtet weder besser noch schlechter ausgestattet als andere Schulen. Die Lehrkräfte an digitalen Optimalschulen sind aber im Vergleich mit anderen Schulen zufriedener mit der Ausstattung und nehmen diese seltener als Hindernis in der Unterrichtsgestaltung wahr. (S. 4)

Das finde ich ebenso interessant wie plausibel: Es ist freilich viel einfacher, sich nörgelnd in die Ecke zu setzen mit einem „Wir würden ja gerne, wenn wir X, Y oder Z endlich hätten“, statt einfach mit dem, was da ist, das maximal Mögliche zu realisieren. Zur Entlastung der Kolleg:innen muss man aber auch sagen, dass die Ausstattung der Schulen in D in diesem Bereich jahrzehntelang vernachlässigt wurde, sodass es auch nicht ganz einfach ist, immer wieder die Motivation zu finden, aus dem Vorhandenen maximale Bildungschancen zu generieren.

Fortbildungen zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht haben an digitalen Optimalschulen einen hohen Stellenwert. (S. 4)

Dass möglichst passgenaue, auch fachbezogene Fortbildungen unheimlich förderlich sind für Motivation und Kompetenz der Lehrkräfte, ist ja im Twitterlehrerzimmer ein altes Credo. Schön (und kaum verwunderlich), dass es auch hier empirisch belegt ist.

Lehrkräfte an digitalen Optimalschulen kombinieren den Einsatz digitaler Technologien im Unterrichtgeschickt und vielfältig. (S. 4)

Der selbstverständliche Einsatz von digitalen Medien in allen Phasen des Unterrichts führt natürlich dazu, dass alle am Unterrichtsgeschehen Beteiligten mehr Sicherheit und Kompetenz im Umgang mit diesen Medien entwickeln. Dass der Fokus dabei noch immer stark auf frontaler Präsentation liegt und auch bei den digitalen Optimalschulen (eigenartiger Begriff im Übrigen, von wenigen Ausnahmen abgesehen ist in D im Bereich der Digitalisierung überhaupt nichts optimal) geben nur 24 Prozent an, häufig oder immer digitale Medien zur individuellen Förderung einzusetzen; genau dort, wo m.E. das größte Potenzial des Lernens in einer Kultur der Digitalität liegt. Das zeigt, wieviel Luft nach oben noch ist.

Zusammensetzung der Schüler:innen

Die diesbezüglichen Analysen des ICILS-2018-Datensatzes zeigen zum einen, dass dort [an den digitalen Optimalschulen] ein im Vergleich zu anderen Schulen in Deutschland etwas geringerer Anteil an Schülerinnen und Schülern aus soziökonomisch benachteiligten Familien zu finden ist. […] Diese rein statistische Auswertung der Schülerhintergrunddaten wird auch von Schulleitungen der betrachteten Schulen gestützt, die für die digitalen Optimalschulen zu höheren Anteilen (60,3 %) angaben, dass in ihrer Schule zwischen 26 Prozent und 50 Prozent Schülerinnen und Schüler aus wohlhabenderen Familien kamen (alle nicht-gymnasialen Schulen in Deutschland inklusive Optimalschulen: 21,6 %). (S. 17)

Die digitalen Optimalschulen haben also eine „im allgemein als weniger herausfordernde […] Schülerschaft. Wie stark dieser Effekt ausgeprägt ist, wird nicht weiter ausgeführt. Meine Grundthese ist, dass im Bereich der digitalen Kompetenzen die Sozialisationsfaktoren Elternhaus und Peergroup weit stärkeren Einfluss haben als die Schule, so lange digitale Kompetenzen in den meisten Bildungsplänen nur als Randfächer mit geringen Stundenzahlen oder gar nur als fächerverbindende Aufgabe (für die sich am Ende bekanntlich oft niemand zuständig fühlt) abgehandelt werden. Natürlich ist es deshalb nicht egal, was die Schule tut; so lange aber nicht mindestens entweder (wie an den bayerischen Realschulen) ein digitalbezogenes Unterrichtsfach in nennenswertem Umfang unterrichtet wird oder wenigstens die Bildungspläne der Einzelschule genügend Gestaltungsfreiraum lassen, um entsprechende Inhalte in der Stundentafel zu verankern, wird sich daran auch wenig ändern. Einmal im Jahr einen sauteuren Referenten einzuladen, der dann über die Gefahren des Internets spricht, macht vielleicht Angst, aber keine Digitalkompenz.

Zusammensetzung des Kollegiums

In Bezug auf die Zusammensetzung der Lehrerschaft an den digitalen Optimalschulen kann festgestellt werden, dass der Anteil an jüngeren Lehrkräften (bis 39 Jahre) größer als in Deutschland insgesamt war und auch anteilig höher im Vergleich zu allen nichtgymnasialen Schulen in Deutschland. (S. 18)

Grundsätzlich kann ich dem Narrativ, dass ältere Lehrkräfte Digitalverweigerer seien, wenig abgewinnen, weil ich viele ältere Kolleg:innen in diesem Bereich als hochengagiert und kompetent erlebe. Dass es aber eine Korrelation zwischen Alter und Häufigkeit des Medieneinsatzes gibt, klingt schon plausibel; und dass die Häufigkeit dann auf Dauer auch Unbefangenheit, Sicherheit und Kompetenz anbahnt, ebenso.

Merkmale der IT-Ausstattung

Insgesamt zeigt sich, dass die schulischen Akteurinnen und Akteure an digitalen Optimalschulen im Mittel weniger Beeinträchtigung beim Einsatz digitaler Medien für das Lehren und Lernen durch zu geringe oder zu wenig leistungsstarke IT-Ausstattung bzw. durch unzureichende Bandbreite oder Geschwindigkeit des Internetanschlusses angaben. (S. 19)

Das ist ebenso interessant wie gefährlich: Wenn es wirklich stimmt, dass die digitalen Optimalschulen keine signifikant bessere Ausstattung aufweisen als die anderen Schulen, läge der Verdacht nahe, dass es ja gar nicht mehr Ausstattung bräuchte; entscheidend wäre dann vielmehr die Einstellung, Engagement, Fortbildungsbereitschaft der Lehrkräfte, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Ich bin sicher, dass das tatsächlich auch ein Teil der Wahrheit ist. Die andere Seite ist aber, dass die Ausstattung der allermeisten Schulen in D (und insbesondere der Schüler:innen und Lehrkräfte) im internationalen Vergleich einfach unterirdisch ist und wir deshalb keinesfalls verleitet sein sollten, in diesem Bereich zurückzustecken und wieder alles auf die Lehrkräfte zu schieben.

Merkmale schulischer Prozesse

Sowohl aus Sicht der Schulleitungen als auch nach Angaben der Lehrkräfte hatte an digitalen Optimalschulen die digitalisierungsbezogene Professionalisierung der Lehrkräfte einen höheren Stellenwert. […] An digitalen Optimalschulen gaben im Rahmen der ICILS-2018-Studie signifikant höhere Anteile der Lehrkräfte an, digitale Medien sowohl im Frontalunterricht als auch zur individuellen Förderung zu nutzen. […] Weiterhin zeigt sich, dass die Lehrkräfte an den hier betrachteten digitalen Optimalschulen häufiger digitale Lernanwendungen (learning tools) in ihrem Unterricht nutzen. (S. 27 f.)

Das deckt sich zu 100% mit meinen Erfahrungen. Lehrkräfte fortbilden und den Kram möglichst oft einsetzen (–> einfach mal machen), statt zunächst dutzende Seiten Konzepte zu schreiben und erstmal kritisch nach dem Mehrwert zu fragen, führt langfristig zum Erfolg.

Merkmale der unterrichtlichen Nutzung grundlegender Computeranwendungen durch Schüler:innen

Die Analysen der unterrichtlichen Nutzung digitaler Medien durch Achtklässlerinnen und Achtklässler zeigen zwar keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit der Nutzung digitaler Medien (ohne Abbildung), allerdings zeigt sich an digitalen Optimalschulen, dass die Schülerinnen und Schüler häufiger grundlegende Computeranwendungen (basic ICT tools) im Unterricht verwenden. (S. 28)

Auch das entspricht völlig dem, was ich im Alltag erlebe und weswegen ich für mich schon länger zur Erkenntnis gekommen bin, dass wir echte Digitalkompetenz nur in 1:1 Ausstattungsszenarios bekommen werden (jede:r Schüler:in besitzt ein eigenes Gerät). Natürlich ist es wirkungsvoller, an echten Themen MIT digitalen Medien zu lernen als in künstlichen Szenarien ÜBER Medien zu sprechen. Und gerade die wesentlichen Kompetenzen (Recherche, Einschätzung der Information, Umgang mit Dateiformaten, Restrukturierung und Präsentation der Information) prägt sich aus, wenn das im Alltag begleitet von gut ausgebildeten Lehrkräften immer wieder geübt wird.

Die Handlungsempfehlungen der Studie halte ich daher auch für absolut sinnvoll und erlaube mir, sie hier vollständig zu zitieren:

(1) Bereitstellung von schulischer IT-Ausstattung, die eine hohe Passung zur pädagogischen Arbeit der Einzelschulen hat und die von den schulischen Akteurinnen und Akteuren als hilfreich und unterstützend für ihre Arbeit eingeschätzt wird.

(2) Bereitstellung eines angemessenen technischen und pädagogischen IT-Supports für den schulischen Einsatz digitaler Medien.

(3) Schaffung von Angeboten zur Unterstützung und Begleitung digitalisierungsbezogener Professionalisierungsprozesse von Lehrkräften, vor allem hinsichtlich der Fortbildung zur fächerspezifischen Verwendung digitaler Lehr- und Lernressourcen.

(4) Stärkung der Kompetenzen der Lehrkräfte und Entwicklung von Schul- und Unterrichtskonzepten zur didaktisch-methodischen Nutzung digitaler Medien im Unterricht durch Lehrkräfte, insbesondere auch zum geeigneten Einsatz im Frontalunterricht in instruktionalen Unterrichts- und Lernphasen, zur individuellen Förderung von Schülerinnen und Schülern bzw. Schülergruppen sowie zur Nutzung digitaler Lernanwendungen in Phasen der selbstständigen und kooperativen Wissenskonstruktion.

(5) Entwicklung von Konzepten zur unterrichtlichen Nutzung grundlegender Computeranwendungen (wie z.B. gängiger Office-Software), die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Lernständen ansprechen und zur eigenständigen und reflektierten Nutzung digitaler Medien beitragen.

Mein Fazit

Abgesehen von der aus Sicht eines bayerischen Realschullehrers höchst unglücklichen Behauptung, dass Gymnasien im Mittel eine bessere Förderung digitalbezogener Kompetenzen leisten würden, sehe ich eine sehr hohe Passung der Studienergebnisse mit den Erlebnissen aus meinem Alltag und halte die Empfehlungen daher auch für konsequent und sinnvoll.

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