Schüler*innen, die länger als zwei, drei Tage nicht in die Schule gehen können, haben ein Problem: Sie müssen sich irgendwie auf dem Laufenden halten, was in der Schule gemacht wird; ansonsten drohen Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg oder bei Leistungsnachweisen. Man könnte jetzt gut einen Artikel drüber schreiben, warum das das eigentliche Problem ist und wieso es doch viel besser wäre, wenn alle Kinder in ihrem Tempo lernen dürften, aber darum soll es jetzt nicht gehen. In den meisten Schulformen in Deutschland gibt es diese Herausforderung und in diesem Text geht es darum, wie man damit umgehen kann und warum meines Erachtens die Möglichkeiten der Digitalisierung dabei noch zu wenig Verwendung finden.
Aber wer krank ist, soll sich doch auskurieren und nicht pauken!
Ja, da stimme ich uneingeschränkt zu. Aber: Zum einen haben wir in der Pandemie nun erstmals die Situation, dass Schüler*innen zwar nicht im Unterricht sind, aber völlig gesund in Quarantäne zuhause sitzen. Die wären nicht nur leistungsfähig, sondern denen ist meistens auch ziemlich langweilig. Und zum anderen gibt es bei krankheitsbedingter Abwesenheit viel Grau zwischen Schwarz und Weiß und bisweilen ist es der Erholung dienlicher, wenigstens ein bisschen auf dem (schulischen) Laufenden zu bleiben, als völlig blank wieder einsteigen zu müssen.
Ein Tweet und eine Debatte
Um mich für diesen Text ein bisschen einzustimmen, habe ich einen Testballon auf Twitter gestartet:
Daraus hat sich eine interessante Debatte entwickelt, die sich sehr grob in zwei Lager einteilen lässt:
Eine Gruppe sieht abwesende Schüler*innen in der Holschuld: Wer nicht da ist, muss sich grundsätzlich selbst kümmern. In dieser Gruppe gibt es dann noch viele Abstufungen, von empörter Ablehnung (Wo kommen wir da hin? Schule ist kein Dienstleister!) bis zu durchaus fürsorglichen Ansätzen wie der Einteilung von verbindlichen Hausaufgaben-Buddies und der Zusage, selbstverständlich bei Bedarf zu unterstützen. Als Argument, warum die Schule / die Lehrkräfte diese Verantwortung nicht übernehmen könnten, wird sehr oft die hohe Arbeitsbelastung und der der damit verbundene Zusatzaufwand genannt.
Die zweite Gruppe sieht darin gar kein Problem:
Ich bin ein Anhänger der zweiten Gruppe. Und ich gebe zu, dass ich da gar nicht in erster Linie als Lehrer oder Schulleiter, sondern vor allem als Vater spreche, mit 15 Schuljahren als Elternteil hinter und noch ca. 24 Schuljahren in dieser Rolle vor mir: Es gibt kaum etwas Nervigeres, als mit einem kranken Kind zu Hause irgendwie dem Stoff hinterherzulaufen. Bisweilen funktionieren Buddysysteme gut, aber spätestens an der weiterführenden Schule wohnt dann nicht zwangsläufig ein Kind aus der Klasse irgendwie in der Nähe und in den Klassengruppen älterer Jugendlicher sind alle Arten abseitiger Internet-Unterhaltung leichter zu bekommen als die letzte Mathe-Hausaufgabe.
Schulweit einheitliche Vorgehensweise als Erfolgsfaktor
Ein Ansatz, der von allen Lehrkräften einer Schule mitgetragen wird, hat aus Schüler*innen- und Elternsicht unschätzbare Vorteile. Denn fast genauso nervig wie gar nichts zu bekommen, ist es, wenn jede Lehrkraft ihr eigenes Süppchen kocht. Ein Ansatz, der von allen mitgetragen werden soll, muss aber einfach sein und darf zumindest keinen großen Mehraufwand mit sich bringen; im besten Fall gar keinen (Spoiler: das ist uns bisher leider nicht gelungen).
Zwingende Voraussetzung ist eine einheitliche, von allen genutzte und eingeübte digitale Plattform. Das kann mebis/moodle sein, das können digitale Klassenbücher sein, Google Classroom, eine Nextcloud, Teams, ganz egal. Wichtig ist nur, dass es einfach ist (Usability first!) und von allen genutzt wird. Im allerbesten Fall hat sich eine Schule mit 1:1-Ausstattung auf ein echtes digitales Lehr-Lern-System verständigt (z.B. das im obigen Screenshot angesprochene Kursnotizbuch), dann gibt es das beschriebene Problem gar nicht erst. Davon sind die meisten Schulen aber weit entfernt
Praxisbeispiel: Versorgung über den Schulmanager Online und Teams
An unserer Schule nutzen wir zwei verschiedene Plattformen; das ist nicht optimal, ist aber dem geschuldet, dass diese Umgebungen eben da sind, weil wir alles Mögliche andere auch damit machen: Wir nutzen den Schulmanager Online z.B. für Krankmeldungen, Befreiungen, Vertretungsplan, Sprechtagsbuchungen, Geld einsammeln, digitales Klassenbuch, Ressourcenbuchung, etc.) und Teams als digitale Plattform für Kommunikation und Zusammenarbeit.
Am Beginn jeder Stunde öffnet die Lehrkraft das digitale Klassenbuch, um die Anwesenheit überprüfen zu können. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Auf jedem Pult steht ein Laptop, das morgens automatisch bootet und im Browser die Startseite des Schulmanagers öffnet. Die Lehrkraft der ersten Stunde muss sich also nur noch anmelden und kann das Gerät sofort nutzen (nicht nur, aber eben auch fürs digitale Klassenbuch).
- Jede Lehrkraft hat seit Sept. ’20 ein eigenes Dienstgerät und bleibt dort in der Regel den ganzen Vormittag über im Schulmanager eingeloggt; der Timeout ist lang genug eingestellt, dass man sich nur einmal pro Tag anmelden muss.
- Viele Lehrkräfte nutzen den Schulmanager auch auf einem anderen Gerät (Smartphone, Tablet) als App; dort bleiben sie dauerhaft eingeloggt, sodass gar keine Verzögerungen bei der Nutzung entstehen.
Früher hatten wir analoge (Papier-)Klassenbücher, in die Absenzen, Stundenthemen und Hausaufgaben eingetragen wurden. Das gibt es jetzt nicht mehr; entsprechend ist durch diese Veränderung kein Mehraufwand entstanden (sogar zahlreiche Erleichterungen): Was früher analog notiert wurde, wird jetzt eben digital eingetragen:
Welche Informationen nun nicht nur die Lehrkraft, sondern auch die Eltern und die Schüler*innen in ihrem Zugang zum Schulmanager sehen können, lässt sich einstellen: in unserem Fall sind das z.B. Unterrichtsinhalte und Hausaufgaben; hier die Ansicht aus Schüler*innen-Perspektive:
Damit weiß ich als Schüler*in (oder auch als Elternteil) zumindest schonmal, was ungefähr gemacht wurde und auch aus der gestellten Hausaufgabe lassen sich meist Rückschlüsse auf die Inhalte ziehen.
Das allein hilft aber nicht viel, wenn zusätzlich ausgeteilte Unterlagen oder Tafelanschriften nicht zur Verfügung stehen. Und dafür nutzen wir unsere digitalen Klassenzimmer; in unserem Fall mit Teams, das geht aber natürlich mit jeder anderen vergleichbaren Lösung genauso:
Jeder Unterricht ist als eigenes Team angelegt und in jedem Team gibt es einen „Materialkanal“:
In diesem Materialkanal landen dann alle Tafelanschriften, Hefteinträge, Arbeitsblätter direkt aus der Stunde. Die Dinge dort einzustellen, ist grundsätzlich nicht Aufgabe der Lehrkraft, sondern es gibt einen „Materialdienst“ dafür; das sind Schüler*innen, die motiviert und flott sind, sodass in ihrer alltäglichen Arbeit ein bisschen Luft dafür bleibt, die Dinge mit dem eigenen Gerät (Smartphone oder Tablet) abzufotografieren und in den Materialkanal einzustellen.
Erfahrungsgemäß klappt das leider nicht in allen Klassen auf Dauer verlässlich, sodass die Lehrkräfte da doch immer wieder auch unterstützen müssen – das ist dann ein gewisser Zusatzaufwand, wobei andererseits viele Nachfragen durch diese lückenlose Versorgung auch wieder wegfallen. Konkret sieht das dann z.B. so aus:
Müssen dann die Schüler*innen die Hausaufgaben überhaupt noch selbst aufschreiben?
Schwierige Frage. Die meisten machen das, nötig ist es aber eigentlich nicht mehr. Der geschätzte Kollege Thomas Rau hat sich in seinem Blog gerade mit dem Thema befasst und natürlich trifft das Argument schon zu, dass wir es den Schüler*innen damit schon sehr leicht machen und ihnen etwas abnehmen, worin im besten Fall auch eine Lernchance steckt: Nämlich, sich selbst gut zu organisieren und – im Fall der Abwesenheit von der Schule – sich untereinander gut zu organisieren.
Andererseits überwiegen meines Erachtens die Vorteile dieser überhaupt nicht aufwändigen Verfahrensweise dieses Risiko bei weitem. Und positiv gedacht wird dadurch sogar in jeder Stunde ein bisschen Zeit frei, die ich eben nicht dafür nutzen muss zu warten, bis auch der Letzte sein Hausaufgabenheft hervorgezaubert hat.
Denkt man in diese Richtung allerdings weiter, wäre die nächste Frage, welchen Sinn es überhaupt macht, Tafelanschriften mitschreiben zu lassen? Sollte man nicht besser die Dinge konzentriert gemeinsam erarbeiten (oder individuell erarbeiten lassen) und am Ende zusammenfassendes Material zur Verfügung stellen? Oder merkt man sich nicht doch besser, was man selbst geschrieben hat? Ich bin da ehrlich unsicher. Aber umso mehr bin ich überzeugt, dass wir es ausprobieren sollten, um die Bereiche zu finden, in denen die Möglichkeiten digitalen Zusammenarbeitens eben nicht nur althergebrachte Verfahren ersetzen, sondern neue, gute, womöglich bessere, Wege schaffen.
Wir nutzen ebenfalls Teams, allerdings richte ich mit jeder Klasse das Klassennotizbuch ein, das ist nochmal übersichtlicher und die SuS finden sich schnell zurecht, da man hier auch seine Abschnitte nach Themen sortieren und die Einzelseiten mit Datum+Thema der Stunde benennen kann. Manchmal lade ich hier auch die Tafelbilder zur Stunde hoch, die kranken SuS wissen somit immer, wo sie schauen können und was gemacht wurde. Unsere Schule hat aber auch alle LuL mit Dienstgeräten ausgestattet und viele nutzen ohnehin OneNote, dann geht das sehr schnell und bedeutet für mich nicht so wirklich viel Extraaufwand. Ich finde es schade, dass der Besitz eines Diensttablets immer noch so eine Ausnahme ist 🙁
Eine so voll integrierte Lösung hat natürlich den höchsten Nutzwert. Der kleine Haken dabei ist, dass das nicht unbedingt schulweit funktioniert, außer es gibt eine echte 1:1 Ausstattung und die entsprechenden Gremien-Beschlüsse. Was mich von einer bedingungslosen Empfehlung des Klassennotizbuches auch noch abhält, ist die Lock-In-Geschichte: Es gibt bislang meines Wissens keinen guten Weg, die Inhalte aus dem Klassennotizbuch schnell in andere Systeme zu exportieren; das ist vermutlich betriebswirtschaftlich sinnvoll, würde ich für meine Unterrichtsvorbereitung aber nicht unbedingt wollen.
Lieber Tobias,
Danke für den tolle Blogeintrag. Ich bin in allen Dingen komplett auf deiner Seite. Wir handhaben es bei uns ähnlich, lediglich das Klassenbuch wird noch analog geführt – wir werden uns den Schulmanager aber sicherlich ansehen…das sieht gut aus.
Ein kurzer Hinweis: Die Schüler könnten auf Teams die Fotos auch direkt unter Dateien ablegen. Ich lege für die Stunde einen Ordner mit aussagekräftigem Titel (manche machen das auch über das Datum) an und alle unterrichtsrelevanten Dateien kommen da rein. Das können die Schüler auch, es läuft nicht die Timeline der Beiträge voll und alles ist leicht auffindbar.
Nur so als Idee.
Danke für den tollen und interessanten Blog.
Liebe Grüße
Marcel
Ja, das ist eine gute Idee mit den stundenweisen Ordnern. Das erhöht die Übersichtlichkeit enorm und der Aufwand ist (besonders bei Doppelstunden) überschaubar. Danke für den Hinweis!
Hallo Tobias,
ich teste gerade in einer iPad-Klasse ein gemeinsames Goodnotes-Heft.
Da schreibt ein/e Schüler/in alles, was in der Stunde verschriftlicht wird, hinein, d.h. nicht nur den Tafelanschrieb, sondern auch Lösungen zu Hausaufgaben und Übungen während der Stunde. Das Heft wird nur beschrieben, wenn jemand fehlt, egal ob krank oder Quarantäne. Wenn alle da sind, führen die SuS sowieso ihre eigenen Hefte (auf die kein anderer Zugriff hat).
Stehe am Anfang des Experiments…die Vorteile liegen auf der Hand (alle haben Zugriff, sogar unmittelbar)…nachteilig ist, dass jeder reinschreiben und auch LÖSCHEN kann…der Umschlag des Heftes ist recht kreativ und nach wie vor Veränderungen unterworfen …jeder wollte bei Einführung des Heftes schließlich testen, ob er auch hineinschreiben kann etc., die Seitenzahl hinter den Einträgen variiert (noch),…aber letztendlich müssen die SuS hier doch ziemlich viel Verantwortungsbewusstsein aufbringen, denn funktionieren kann das Heft nur, wenn alle diszipliniert damit umgehen und es selbst als Quelle bei Fehlzeiten nutzen (wollen und können). Da alles Neue irgendwann zur Gewohnheit wird, denke ich, werden die „Spielereien“ abnehmen …in den Einträgen selbst gab es bislang eh keinen Schabernack. Bleibt abzuwarten, wie und ob sich das Heft bewährt.
Viele Grüße
Christine
Das würde mich interessieren, wie das funktioniert. Beim OneNote Klassennotizbuch können die Lernenden ja Einträge der Lehrkraft nicht verändern. Aber Goodnotes ist auf dem iPad einfach eine tolle App, meine große Tochter macht auch alle Hefteinträge damit und kam damit auf Anhieb besser klar als mit OneNote. Dazu kommt die schöne Backup-Funktion (z.B. automatisch als pdf in die Cloud möglich). Eventuell wäre das auch eine Option, grobem Vandalismus vorzubeugen? Dann hätte man zumindest ein Backup, das die Inhalte enthält.
Hallo Tobi,
das müsste im Bereich für die Zusammenarbeit (Collaboration Space) eigentlich auch in OneNote, also beim Klassennotizbuch, gehen.
Beste Grüße
Frederik
>Was mich von einer bedingungslosen Empfehlung des Klassennotizbuches auch noch abhält, ist die Lock-In-Geschichte
Danke! Ich würde mich nie auf etwas einlassen, aus dem ich nicht gut rauskomme. Mein ePub-Reader muss meine Kommentare und Anstreichungen in einem brauchbaren Format exportieren, sonst taugt er nichts; mein Feedreader muss gemerkte Artikel und Aboliste exportieren können, sonst weg. Gilt für mich für alles.
Vielen Dank auch insgesamt für den informativen Beitrag. Ich bin sehr dafür, alles auszuprobieren und zu berichten. Ich will jedenfalls mehr in deine Richtung als wir jetzt sind.