Das Netz als sozialer Ort – aber wo?

Ich bin seit 1993 im Internet aktiv. Und immer schon faszinierte mich dabei nicht nur die technische oder konsumierende Perspektive, sondern die Möglichkeit der Vernetzung zwischen Menschen. Bevor sich das Internet in seiner heutigen Form ausbreitete, war ich aktiver Nutzer des FidoNet, dann kurz ein Fan der Compuserve-Groups. Der erste Internetzugang mit 14.400 bit/s-Modem wurde über eine Bürgernetz-Initiative realisiert und ganz selbstverständlich traf man sich mit den daran Beteiligten, offline wie online, um viel über Technik, aber auch über Gott und die Welt zu plaudern.

In den 90er-Jahren verfasste ich hunderte Beiträge im Usenet, die man, weil ich immer schon unter Klarnamen schrieb, über Google Groups auch heute noch finden kann. In diesen themenbezogenen Newsgroups (z.B. de.rec.motorrad oder de.rec.fotografie, wobei das rec für „recreational“ steht) traf man sich zum Ratsch über das Lieblingshobby, vor allem aber bekam man schnelle und kompetente Unterstützung von ausgewiesenen Expert*innen (und wurde im besten Fall irgendwann selbst zu einem). Wenn man die Gepflogenheiten der jeweiligen Gruppe missachtete, erntete man auch damals schon einen Shitstorm. Weil das aber irgendwie doch ein von der „realen“ Welt abgesonderter Erlebnisraum für eine kleine Gruppe war, handelte es sich dann doch eher um ein Shitstürmchen. Und in der „realen“ Medienwelt wurde das alles (abgesehen von ein paar Tech-Zeitschriften) überhaupt nicht wahrgenommen. Das Usenet war rückblickend ein ganz wunderbarer, basisdemokratischer Raum. Es gab keine Likes und keine Retweets; jeder Beitrag zählte gleich viel; Aufmerksamkeit bekam, wer kluge, sachkundige oder humorvolle Beiträge schrieb.

Das Usenet hatte aber auch mehrere Probleme: Den Zugang dorthin zu finden und die (teils ungeschriebenen) Regeln zu begreifen, war gar nicht so einfach. Und das Usenet war auch kein zentraler Raum: Unzählige Server hielten die Inhalte redundant vor und der Nutzer musste sich zunächst einmal für einen der Server entscheiden. Die Admins der Server waren sowas wie Technik-Götter, die darüber entschieden, welche Hierarchien sie spiegeln wollten.

Die wenig benutzerfreundliche Oberfläche und die Beschränkung auf textbasierte Kommunikation ließ dann die Nutzer in den 200er-Jahren zunehmend in Webforen abwandern. Die Möglichkeit, Binärdaten übers Usenet zu senden, führte aber nicht dazu, dass die Nutzer zurückkehrten, sondern im Gegenteil die Infrastruktur für Raubkopien und Pornos genutzt wurde, sodass 2017 dann die Juristen endgültig den Stecker zogen.

Seit 2013, also nun auch schon fast 10 Jahre lang, war für mich Twitter der bevorzugte Ort für den Austausch zu verschiedensten Themen. Und was viele bemängeln, nämlich die Vorsortierung der Themen durch einen Algorithmus, hat für mich gut funktioniert; ich war immer wieder erstaunt über die Vielfalt der Themen und Menschen, die mir dort angezeigt wurden und um die ich mein persönliches Netzwerk erweitern konnte.

Jetzt hat Twitter einen neuen Besitzer und was er damit vorhat, klingt alles andere als gut und bringt viele Menschen dazu, sich über Alternativen Gedanken zu machen. Mastodon wird dabei häufig genannt und ein gar nicht so kleiner Teil der Bildungs-Bubble hat sich von Twitter schon auf den Weg dorthin gemacht. Ich hab mir das seit Mai nun ein halbes Jahr lang in Ruhe angesehen und habe mich entschieden, vorerst nicht dort aktiv zu werden, unter anderem aus folgenden Gründen dort mit einer eigenen Instanz aktiv zu werden, um die u.g. Nachteile wenigstens teilweise zu umgehen:

  • Die föderierte Struktur ist für mich mehr Nachteil als Vorteil. Ich interessiere mich für so viele Themen und habe mir auf Twitter in jahrelanger Mühe 500 Menschen zusammengesucht, deren Beiträge mich inspirieren. Ich habe weder Zeit noch Lust, diese Suche von vorne zu beginnen.
  • Die lokale Timeline einer Mastodon-Instanz ist oft recht monothematisch. Und weil es eben keinen Algorithmus gibt, sondern die Beiträge rein chronologisch sortiert daher kommen, muss ich sehr lange scrollen, bis ich Beiträge finde, die mich interessieren.
  • Die Entscheidung für eine Mastodon-Instanz ist gar nicht so einfach: Fast alle Instanzen sind reine Hobby-Projekte, die von Einzelpersonen in deren Freizeit betrieben werden. Und auch, wenn ich allen beste Interessen unterstelle, hängt die Verfügbarkeit und Dauerhaftigkeit dieser Instanz dann eben von den zeitlichen und u.U. auch finanziellen Ressourcen dieser Einzelpersonen ab.
  • Immer wieder stößt man auch an Grenzen: Föderierte Systeme arbeiten eben nicht aus einem Guss, sondern teilen Informationen. Da sind ältere Beiträge nicht sichtbar, es gibt keine systemübergreifende Suche, um Usern anderer Instanzen zu folgen, muss man in einem Pop-up sein Handle neu eingeben, etc. – es ist eben nicht aus einem Guss (und will es ja auch nicht sein).
  • Der Umgang mit Bots ist uneinheitlich und kann verwirrend bis ärgerlich sein:

Nach meinem Eindruck eignet sich Mastodon gut, um einer überschaubaren (z.B. örtlich oder thematisch eingegrenzte) Community eine Heimat zu geben und sich eine lauschige Bubble zu schaffen, in der Art eines gut moderierten und gepflegten Internet-Forums. Für mich ist das im Moment aber nicht der richtige Ort; zu lange und zu mühsam scheint mir der Weg, die auf Twitter entstandenen Verbindungen erneut aufzubauen und mir eine auch nur im Ansatz vergleichbar vielfältige Timeline zusammenzusuchen.

Dennoch möchte ich aber gerne Netzwerke weiter pflegen und denjenigen, die Twitter wegen der aktuellen Entwicklungen dort verlassen, Möglichkeiten bieten, den Kontakt zu halten, wenn sie mögen. Das kann z.B. hier über das Blog stattfinden. Zusätzlich habe ich aber zwei neue Kanäle geschaffen, die ich zwar voraussichtlich zunächst nicht sehr aktiv bespielen werde, die aber Verbindungen aufrecht erhalten können:

Ich habe mir (wieder) ein Profil auf linked-in angelegt:

Und – natürlich – halte ich mir auch eine Tür ins Fediverse offen unter dem Handle @tobias@social.4tobi.de.

Unterm Strich macht mich diese Entwicklung bei Twitter schon ein wenig melancholisch und auch ärgerlich, weil es – für mich – im Moment keinen adäquaten Ersatz gibt und ich den Austausch dort als sehr vielfältig und inspirierend erlebt habe (und immer noch erlebe, auch wenn geschätzte Stimmen leider verstummt sind). Aber das ist der Lauf der Dinge und in ein paar Jahren wird man sehen, welche Plattform sich wie entwickelt hat; und so wie ich mich auf meinem Facebook-Account täglich freue, welche alten Bilder mir die Timeline in Erinnerung ruft und dass ich alte Schulfreunde dort wiederfinde, halte ich es durchaus auch für möglich, dass Twitter ein angenehmer Ort bleiben kann, wenn der Sturm vorbeigezogen ist. Ich hoffe es jedenfalls.

Ein Kommentar

  1. Ich begrüße es ein bisschen, dass mich Mastodon zu einem Neuanfang zwingt. (Und damit Neuerfindung meiner selbst, also theoretisch, schon mal weil neues System mit neuen Regeln zu neuem Verhalten führt. Andererseits erfinde ich vielleicht auch immer wieder die gleiche Kunstfigur.) Ich bin seit Jahren bei einem stabilen Server, kenne einen weiteren Serverbetreiber persönlich, und meinem Leseverhalten kommt Mastodon entgegen. Noch bin ich bei beidem, harre der Entwicklung. Bin aber auch weder bei LinkedIn noch Facebook wirklich; zentral ist ohnehin das Blog. (Dass Twitter für manche Institutionen und andere Länder zentral ist: keine Frage, und eine Schande, was da gerade läuft.)

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