Ein schreckliches Schuljahr?

Sagen wir wie es ist: Es war ein schreckliches Schuljahr. Vermutlich das anstrengendste, das ich je erlebt habe.

So beginnt Herr Mess seine Retrospektive aufs vergangene Schuljahr 21/22 und diesen Satz habe ich in den vergangenen Wochen von Schüler*innen, Eltern, Lehrkräften häufig gehört. Mich hat interessiert, wie verbreitet diese Wahrnehmung ist und was genau es war, das dieses Schuljahr in der Wahrnehmung vieler so anstrengend gemacht hat:

70% derjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt und damit vermutlich irgendwie (wohl überwiegend als Lehrkräfte und Eltern) an diesem Schuljahr teilgenommen haben, stimmen dieser Einschätzung zu. Liest man die Antworten und hört man sich bei Eltern und Lehrkräften um, sind es oft folgende Belastungsfaktoren, die man zu hören bekommt:

Der pandemiebedingte Ausnahmezustand dauert schon so lang – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Wir haben das dritte Schuljahr unter Pandemiebedingungen hinter uns. Dominierten in den ersten Wochen und Monaten (mancherorts nachdem die Schockstarre überwunden war) Motivation und der unbedingte Wille, diese Herausforderungen zu bewältigen, verspürten viele nun Resignation und Erschöpfung breit: Geht das jetzt immer so weiter?

Und auch wenn Teile der Bevölkerung mit wachsender Ignoranz reagieren und sich wie Dreijährige die Augen mit dem Maßkrug zuhalten, sieht die Realität eben anders aus, auch wenn einem das nicht gefällt ( Erschreckende Zahlen: So viele Menschen leiden in Bayern an Long Covid | Starnbergs Klinik-Chef: „Wir werden die Wiesn bitterböse bereuen“).

Schule unter Pandemiebedingungen – was machen wir da eigentlich?

Eigentlich haben wir ja die schönste Aufgabe der Welt:

Wir gestalten Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen und begleiten sie dabei, Beziehungen untereinander aufzubauen und zu pflegen. Auf Basis dieser Beziehungen entwickeln und begleiten wir Lernprozesse und wir schaffen gemeinsame Erlebnisse. Das ist eine ebenso herausfordernde wie wunderschöne und bereichernde Tätigkeit; häufig ist sie herausfordernd, manchmal auch frustrierend, aber fast immer überwiegen am Ende Freude und Zufriedenheit.

Je weiter wir uns im schulischen Alltag aber von diesen Kernaufgaben entfernen, umso anstrengender wird es. Zum Infektionsschutz mussten wir zahlreiche neue Aufgaben übernehmen und nicht nur einmal habe mich gefragt: Was machen wir da eigentlich?

Hygienepläne wurden geschrieben, auf die örtliche Situation angepasst, in die Praxis gebracht und deren Einhaltung überprüft. Lehrkräfte und Schüler*innen wurden in der Handhabung der Tests geschult, Tests wurden ausgegeben, durchgeführt, entsorgt. Positiv getestete Personen wurden getröstet und betreut, deren Kontaktpersonen wurden ermittelt (wer sitzt in Chemie, Biologie, IT, Physik davor, dahinter daneben?) und über die sich immer wieder ändernden Quarantäneanordnungen unterrichtet. Impfpässe und Genesenenzertifikate wurden geprüft und verwaltet. Mehrseitige Einverständniserklärungen für Pooltests wurden eingeholt, digital verwaltet und kurz darauf aus Datenschutzgründen wieder vernichtet (um im Oktober erneut eingeholt zu werden?). Fahrten wurden gebucht, umgebucht und schließlich doch abgesagt, undsoweiterundsofort. Alles notwendig – ich bin ja der Letzte, der sich weniger Infektionsschutz an Schulen wünschen würde; aber in der Summe schon sehr viele Aufgaben, die zusätzlich zu bewältigen waren und die eben nichts mit unserer Kernaufgabe zu tun haben.

Die Auswirkungen von Isolation, Quarantäne und Krankheit

Neben den zusätzlichen pandemiebedingten Aufgaben hatten Isolation, Quarantäne und Krankheit auch ganz konkrete Auswirkungen auf den Unterricht:

Wenn schwangere Lehrkräfte (zu Recht!) in einer Pandemie nicht in der Schule arbeiten dürfen, muss deren Unterricht vertreten werden (mindestens die Aufsicht muss jemand anders sicherstellen). Und das eben nicht mit sechs Monaten Vorlaufzeit, sondern von einem Tag auf den anderen. Wenn immer wieder Schüler*innen oder Lehrkräfte erkrankt ausfallen oder als Kontaktpersonen nicht in der Schule sein können, führt das zu vielen Vertretungen, Mehrarbeit und beeinträchtigt den Lernfortschritt – egal wie gut man digital aufgestellt ist. Wenn einzelne Schüler*innen oder Lehrkräfte auch nach Wochen oder gar Monaten noch immer unter den Langzeitfolgen einer COVID-Erkrankung leiden, ist das nicht nur ein bedauerliches Einzelschicksal, sondern führt einerseits zu einer erheblichen individuellen und systemischen Belastung und andererseits natürlich auch zu Sorge bei Mitschüler*innen und Lehrkräften, im Fall einer Infektion ebenso schwer zu erkranken. Wenn in fast jeder Prüfung ein Teil der Schüler*innen wegen Krankheit oder Quarantäne fehlt, muss eine Nachprüfung erstellt und beaufsichtigt werden. Und im vergangenen Schuljahr gab es quasi keine Prüfung, die nicht einen Nachtermin erfordert hätte; im Gegenteil haben wir regelmäßig den Nachtermin des Nachtermins des Nachtermins angesetzt. Dass zugleich zwar einerseits eine sinnvolle „Ankommensphase“ im Herbst an den Schulen stattgefunden hat, dann aber nach hinten raus die Zahl der verbindlichen Leistungsnachweise nicht vermindert wurde, hat am Ende des Schuljahres mancherorts zu einem ziemlichen Prüfungsmarathon durchgeführt.

Fehlende Planungssicherheit erhöht die Anspannung

Im vergangenen Schuljahr hat sich in meiner persönlichen Wochenplanung ein ganz neuer Rhythmus eingestellt: Immer am Dienstagmittag verfolgten wir aufmerksam die Pressekonferenz nach der Ministerratssitzung, weil dort bekannt gegeben wurde, was voraussichtlich ab dem darauffolgenden Montag gelten würde. Weil die offiziellen Schreiben zu den veränderten Regelungen frühestens am Folgetag, oft aber auch zwei bis drei Tage später an die Schulen kamen, konnten wir so die nötigen Elternbriefe und Detailplanungen schonmal vorbereiten und mussten das nur noch ausnahmsweise am Samstag oder Sonntag nacharbeiten.

Kognitive Dissonanz: Illusion von Normalität vs. epidemiologische Wirklichkeit

Ab Ostern wurde in Berlin dann beschlossen, dass es jetzt aber wirklich genug ist mit der Pandemie. Und so wurden die zahlreich vorhandenen Tests in den Keller und die Masken beiseite gelegt und man kehrte zurück zur Normalität: Schulfahrten, Schulkonzerte, Abibälle, alles durfte wieder stattfinden und alles wurde sehr, sehr gut besucht: Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach Normalität. Dass zeitgleich eine Sommerwelle mit vierstelligen Inzidenzen (bei Dunkelfaktor 3-5) durchs Land schwappte und nicht nur der Miesbacher Landrat es nicht schaffte, bei diesem Feier- und Terminmarathon dem Virus aus dem Weg zu gehen, sorgt zwar bei einigen für ein gewisses Unbehagen, aber die Konsequenzen daraus bleiben aus – sie wären entweder subjektiv zu einschränkend (z.B. Feste nur im Freien) oder zu teuer (saubere Luft für alle Schulen).

Krieg in der Ukraine

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar stellte sich an vielen Schulen die Herausforderung, geflüchtete Kinder und Jugendliche zu begleiten – eine enorme zusätzliche Belastung, zumal für die schwerpunktmäßig betroffenen Grund- und Mittelschulen, an denen ohnehin ein dramatischer Lehrkräftemangel besteht.

War es nun ein schreckliches Schuljahr?

Für mich – schulisch – gar nicht unbedingt: Ja, die zusätzliche Arbeit war sehr viel, aber zugleich bin ich davon überzeugt, dass insbesondere die Tests an den Schulen (nicht zu Hause – das Prinzip Eigenverantwortung funktioniert in dieser Pandemie nicht mehr) einen ganz wesentlichen Teil dazu beigetragen haben, dass es in der Schule nicht noch mehr Ansteckungen gab. Im Frühjahr hatte sich das mit den Tests und der Isolation für positiv Getestete eigentlich gut eingespielt und man kann nicht einerseits Infektionsschutz fordern und andererseits auf die damit verbundene Arbeit schimpfen.

Außerdem haben wir damit begonnen, die digitalbezogenen Erkenntnisse aus den ersten beiden Pandemie-Schuljahren in den Alltag zu überführen; da geht es zum Beispiel um die digitale Begleitung des Unterrichts (u.a. zur Versorgung der Schüler*innen, die gerade nicht in der Schule sind) oder um hybride Szenarien bei Besprechungen und in der Elternkommunikation. Wir werden digitale Schule der Zukunft und lernen ab dem kommenden Schuljahr in zwei Jahrgangsstufen mit einer 1:1-Ausstattung, was ein riesengroßer Schritt hin zum zeitgemäßen Lernen ist und was zwar schon jetzt sehr viel Arbeit macht, aber eben schöne Arbeit, eine, die dem Kern von Schule, nämlich der Gestaltung von Beziehungen und Lernprozessen dienlich ist.

Ganz privat betrachtet war es allerdings dann doch eine ernüchternde Zeit: Nach den schönen und weitgehend verletzungsfreien Bergjahren 2020 und 2021 mit einer Vielzahl erholsamer Ausflüge in den frühen Morgen- und späten Abendstunden geht seit bald einem halben Jahr nichts mehr: Nachdem Schwindel, Gedächtnis- und Wortfindungsstörung sich nach meiner Corona-Infektion Anfang März gottseidank nach einigen Wochen wieder verzogen hatte und ich wieder normal arbeiten kann, ist die körperliche Belastbarkeit noch immer nicht zurück; ich komme einfach nicht mehr auf den Berg hoch. Und das so am eigenen Leib zu erleben, macht schon auch demütig und nachdenklich.

3 Kommentare

  1. In dieser langen Aufzählung merkt man erst, was die Schulen und vor allem die Schulleitungen im letzten Jahr nochmal geleistet haben. Kein Wunder, dass wir aus dem letzten Loch pfeifen. Ich wünsche dir nun angenehme Ferien. Und lass es langsam angehen. Die Berge laufen dir nicht davon!

  2. Hallo Tobias und danke für diesen Beitrag! Ich glaube, es war für die Kinder und Lehrkräfte definitiv kein leichtes Schuljahr, aber langsam kehrt immer mehr Normalität ein. Dazu hat auch das Genesenenzertifikat und der Impfpass eindeutig beigetragen. Ich hoffe, dass das laufende Schuljahr deutlich stressfreier verläuft.

    LG Elsa

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