Vor kurzem bin ich auf Twitter was gefragt worden:
Hintergrund war meine Feststellung, dass ich mit dem Wissen von heute manche Entscheidung bzgl. der digitalen Ausstattung wahrscheinlich anders getroffen hätte. Vieles hat sich bewährt, manches war ein Umweg, aber manche Entscheidung hat sich retrospektiv als Irrweg gezeigt.
Zu scheitern ist keine angenehme Erfahrung. Sich einzugestehen, dass man einen Irrweg beschritten hat, allzu oft nach aufwändigen Versuchen, ein Projekt doch noch zu retten, fällt schwer. Und noch unangenehmer ist es, übers eigene Scheitern zu sprechen, liefert man sich damit doch dem Spott und der Häme der Besserwisser aus und gibt denjenigen, die einen Weg der Veränderung eh lieber nicht mitgehen wollten, das gute Gefühl, dass es früher eben doch besser gewesen ist (in Bayern: „Des hamma ja no nia so g’macht“).
Fehlerkultur, die:
Als Fehlerkultur bezeichnet man die Art, wie ein Unternehmen mit Fehlern, Pannen und Problemen sowie den daraus resultierenden Konsequenzen umgeht. In einer schwachen Fehlerkultur werden Fehler totgeschwiegen, Probleme verschleiert und Schuldige gesucht. Im Gegensatz dazu steht die offene, aktive Fehlerkultur. In ihr werden Fehler als notwendiges Übel akzeptiert, um Innovation und Agilität zu ermöglichen. Das erfordert vom Management und den Mitarbeitern, auftretende Schwierigkeiten bewusst zu reflektieren und nach schnellen Lösungen statt nach Schuldigen zu suchen.
https://www.rexx-systems.com/news/offene-fehlerkultur
Nach meiner Wahrnehmung wird an Schulen nicht gern über Fehler gesprochen. Vielleicht verhindern negative Erfahrungen aus dem Referendariat einen offenen Umgang mit dem eigenen Scheitern, vielleicht die Angst vor einer schlechten Beurteilung, vielleicht der Umstand, dass viele Lehrer*innen ihrer Arbeit mit sehr viel persönlichem Enthusiasmus und Herzblut nachgehen und deshalb ein Fehler im Zweifel nicht nur auf der Sachebene stattfindet, sondern dann auch als persönliches Scheitern erlebt wird.
In Systemen, deren Überleben von Veränderungsfähigkeit und Innovation abhängt, ist eine schwache Fehlerkultur ein existenzielles Problem. Wo Fehler zu machen verpönt ist und bestraft wird, neigen Menschen dazu, sie zu vertuschen und viel Energie zu vergeuden, Schuldige statt Lösungen zu finden. Während einer längeren Autofahrt habe ich vor kurzem den Podcast Der Fall Audi – „Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen angehört; der Dieselskandal ein wohl ganz gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Irrwege einfach immer weiter gegangen werden, weil keiner den Mut hat, ein Scheitern einzugestehen.
An Schulen sollte das ja eigentlich kein Problem sein: Lehrkräfte und Schulleitungen sind – in übergroßer Mehrzahl – Beamt*innen oder unbefristet angestellt. Unser Gehalt hängt nicht vom Erfolg unserer Projekte ab, es gibt weder Boni noch Anlass zur Furcht, bei der nächsten Beförderungsrunde nicht dabei zu sein. Die Kehrseite dieser Sicherheit ist fehlende Veränderungsnotwendigkeit: Wenn Unternehmen sich Innovationen verweigern, werden sie am Markt nicht überleben – die Handysparten von Nokia und Siemens haben das gezeigt. Wenn Lehrkräfte und Schulleitungen sich Innovationen verweigern, passiert – sprichwörtlich – nichts: Alles bleibt, wie es ist, wir wir es kennen, wie wir es schon immer gemacht haben. Neues auszuprobieren und mithin die Gefahr des Scheiterns zu riskieren, ist insofern erst mal wenig attraktiv. Sich erst zu bewegen, wenn es qua Dienstanweisung erforderlich ist, kann man einer Behörde und den dort Mitarbeitenden schwerlich zum Vorwurf.
Wenn aber doch die Welt, die Gesellschaft, die Familien, Kinder, Jugendlichen sich schneller verändern, als die sorgfältig arbeitende Bürokratie es in allgemeingültige Dienstanweisungen übersetzen kann, können Schulen doch gar nicht anders, als sich selbst zu bewegen, wenn sie ihren Auftrag ernst nehmen, die Kinder und Jugendlichen auf die Welt von heute und morgen vorzubereiten. Und dann muss man eben doch Dinge ausprobieren, Gutes behalten und Irrwege korrigieren. So verstehe ich (und sehr viele andere auch) Schule und Schulentwicklung.
Warum sollten wir mehr über Scheitern reden?
In einer positiven Fehlerkultur ist das Eingeständnis des Scheiterns ja nur der erste Schritt: Wenn der Fehler erkannt ist, ist ein kurzer Ärger freilich menschlich. Aber danach lernen wir: „Warum sind wir gescheitert? Welche Erkenntnisse ziehen wir daraus?“ Und dann geht der Blick nach vorne: „Wie geht es weiter? Wie können wir es besser machen?“ Und deshalb wäre es doch gut, wenn in den tausenden parallel laufenden Schulentwicklungsprozessen in unserem Land nicht jeder Fehler zigmal wiederholt werden müsste.
Große Schulentwicklungsprojekte enden oft damit, dass „Multiplikatoren-Schulen“ oder „Leuchtturm-Schulen“ benannt werden oder mit der Veröffentlichung von Good-Practise-Beispielen. Das ist viel wert; andererseits entsteht dadurch schnell der Eindruck, dass bei diesen Musterschulen immer alles perfekt laufen würde und das auf höchstem Niveau. Da kann man sich schnell klein und dumm fühlen und fragt im Zweifelsfall lieber nicht nach. Nicht nur über Gelingendes, sondern auch über die verschlungenen Pfade dorthin zu berichten, senkt diese Hürde und schafft eine Nahbarkeit, die uns in der Kommunikation gut tut.
Das trifft umso mehr innerhalb des Kollegiums zu: Wenn selbst dem Chef so ein blöder Fehler passiert und es kein Problem ist, darüber zu reden, dann brauche ich auch keine Angst zu haben, Fehler zu machen und kann mehr Energie in Schönes und Mutiges investieren.
Und weil der Appell, mehr übers Scheitern zu reden, ja sehr halbherzig ist, wenn dem keine Taten folgen, werde ich die Geschichte, die den ganz oben im Tweet genannten drei Punkten zugrunde liegen, in den nächsten Tagen mal hier aufschreiben.
Ein wichtiger und richtiger Beitrag.
Ich versuche in der Entwicklung unserer Schule eine Fehlerkultur zu fördern, indem es Möglichkeiten gibt, Mängel im System zu melden. Dinge, die einen Ablauf erschweren usw.
Das bedarf aber offensichtlich auch der Möglichkeit der Anonymität.
Haben Sie so etwas oder auch andere Hinweise zur Entwicklung einer positiven Fehlerkultur, wie Sie sie beschrieben haben?
Ich bin unsicher, ob ich dem zustimmen würde, dass anonyme Meldungen notwendig sind, sondern würde grundsätzlich durch einen offenen Umgang mit den eigenen Fehlern versuchen, eine Vertrauensbasis zu etablieren, die es Betroffenen erleichtert, mit Fehlern, die notwendigerweise geschehen, direkt selbst offen umzugehen. Als eine Möglichkeit, Missstände vertraulich kundzutun, bietet sich an den weiterführenden Schulen immer der Personalrat an. Ansonsten ist es häufig tatsächlich erst das Erleben des Umgangs mit dem ersten eigenen größeren Fehler, der dazu führt, dass Lehrkräfte es der Schulleitung abnehmen, dass das Reden von einer „positiven Fehlerkultur“ ernst gemeint ist…